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Ich tat, als ob ich diese Gegenstände gar nicht bemerkt hätte, nahm aus der Satteltasche eine Handvoll Datteln und begann, dieselben mit gleichgültiger und zufriedener Miene zu verzehren.
»Was wollt ihr in Seddada?« fragte mich der Lange.
»Nichts. Wir gehen weiter.«
»Wohin?«
»Ueber den Schott Dscherid nach Fetnassa und Kbilli.«
Ein unbewachter Blick, den er auf seinen Gefährten warf, sagte mir, daß ihr Weg der nämliche sei. Dann fragte er weiter:
»Hast du Geschäfte in Fetnassa oder Kbilli?«
»Ja.«
»Du willst deine Herden dort verkaufen?«
»Nein.«
»Oder deine Sklaven?«
»Nein.«
»Oder vielleicht die Waren, die du aus dem Sudan kommen lässest?«
»Nein.«
»Was sonst?«
»Nichts. Ein Sohn meines Stammes treibt mit Fetnassa keinen Handel.«
»Oder willst du dir ein Weib dort holen?«
Ich improvisierte eine sehr zornige Miene.
»Weißt du nicht, daß es eine Beleidigung ist, zu einem Manne von seinem Weibe zu sprechen! Oder bist du ein Giaur, daß du dieses nicht erfahren hast?«
Wahrhaftig, der Mann erschrak förmlich, und ich begann, infolgedessen die Vermutung zu hegen, daß ich mit meinen Worten das Richtige getroffen hatte. Er hatte ganz und gar nicht die Physiognomie eines Beduinen; Gesichter, wie das seinige, waren mir vielmehr bei Männern von armenischer Herkunft aufgefallen und – ah, war es nicht ein armenischer Händler, der den Kaufmann in Blidah ermordet hatte und dessen Steckbrief ich in der Tasche trug? Ich hatte mir nicht die Zeit genommen, den Steckbrief, wenigstens das Signalement, aufmerksam durchzulesen. Während mir diese Gedanken blitzschnell durch den Kopf gingen, fiel mein Blick nochmals auf den Revolver. An seinem Griff befand sich eine silberne Platte, in welche ein Name eingraviert war.
»Erlaube mir!«
Zu gleicher Zeit mit dieser Bitte griff ich nach der Waffe und las: »Paul Galingré, Marseille.« Das war ganz sicher nicht der Name der Fabrik, sondern des Besitzers. Ich verriet aber mein Interesse durch keine Miene, sondern fragte leichthin:
»Was ist das für eine Waffe?«
»Ein – ein – — ein Drehgewehr.«
»Magst du mir zeigen, wie man mit ihm schießt?«
Er erklärte es mir. Ich hörte ihm sehr aufmerksam zu und meinte dann:
»Du bist kein Uëlad Hamalek, sondern ein Giaur.«
»Warum?«
»Siehe, daß ich recht geraten habe! Wärest du ein Sohn des Propheten, so würdest du mich niederschießen, weil ich dich einen Giaur nannte. Nur die Ungläubigen haben Drehgewehre. Wie soll diese Waffe in die Hände eines Uëlad Hamalek gekommen sein! Ist sie ein Geschenk?«
»Nein.«
»So hast du sie gekauft?«
»Nein.«
»Dann war sie eine Beute?«
»Ja.«
»Von wem?«
»Von einem Franken.«
»Mit dem du kämpftest?«
»Ja.«
»Wo?«
»Auf dem Schlachtfelde.«
»Auf welchem?«
»Bei El Guerara.«
»Du lügst!«
Jetzt riß ihm doch endlich die Geduld. Er erhob sich und griff nach dem Revolver.
»Was sagst du? Ich lüge? Soll ich dich niederschießen wie – — —«
Ich fiel ihm in die Rede:
»Wie den Franken da oben im Wadi Tarfaui!«
Die Hand, welche den Revolver hielt, sank nieder, und eine fahle Blässe bedeckte das Gesicht des Mannes. Doch raffte er sich zusammen und fragte drohend:
»Was meinst du mit diesen Worten?«
Ich langte in meine Tasche, zog die Zeitungen heraus und tat einen Blick in die Blätter, um den Namen des Mörders zu finden.
»Ich meine, daß du ganz gewiß kein Uëlad Hamalek bist. Dein Name ist mir sehr bekannt; er lautet Hamd el Amasat.«
Jetzt fuhr er zurück und streckte beide Hände wie zur Abwehr gegen mich aus.
»Woher kennst du mich?«
»Ich kenne dich; das ist genug.«
»Nein, du kennst mich nicht; ich heiße nicht so, wie du sagtest; ich bin ein Uëlad Hamalek, und wer das nicht glaubt, den schieße ich nieder!«
»Wem gehören diese Sachen?«
»Mir.«
Ich ergriff das Taschentuch. Es war mit »P. G.« gezeichnet. Ich öffnete die Uhr und fand auf der Innenseite des Deckels ganz dieselben Buchstaben eingraviert.
»Woher hast du sie?«
»Was geht es dich an? Lege sie von dir!«
Anstatt ihm zu gehorchen, öffnete ich auch das Notizbuch. Auf dem ersten Blatte desselben las ich den Namen Paul Galingré; der Inhalt aber war stenographiert, und ich kann Stenographie nicht lesen.
»Weg mit dem Buche, sage ich dir!«
Bei diesen Worten schlug er mir dasselbe aus der Hand, so daß es in die Lache flog. Ich erhob mich, um den Versuch zu machen, es zu retten, fand aber jetzt doppelten Widerstand, da sich nun auch der jüngere der beiden Männer zwischen mich und das Wasser stellte.
Halef hatte dem Wortwechsel bisher scheinbar gleichgültig zugehört, aber ich sah, daß sein Finger an dem Drücker seiner langen Flinte lag. Es bedurfte nur eines Winkes von mir, um ihn zum Schusse zu bringen. Ich bückte mich, um auch den Kompaß noch aufzunehmen.
»Halt; das ist mein! Gieb diese Sachen heraus!« rief der Gegner.
Er faßte meinen Arm, um seinen Worten Nachdruck zu geben; ich aber sagte so ruhig wie möglich:
»Setze dich wieder nieder! Ich habe mit dir zu reden.«
»Ich habe mit dir nichts zu schaffen!«
»Aber ich mit dir. Setze dich, wenn ich dich nicht niederschießen soll!«
Diese Drohung schien doch nicht ganz unwirksam zu sein. Er ließ sich wieder zur Erde nieder und ich tat ganz dasselbe. Dann zog ich meinen Revolver und begann:
»Siehe, daß ich auch ein solches Drehgewehr habe! Lege das deinige weg, sonst geht das meinige los!«
Er legte die Waffe langsam neben sich hin aus der Hand, hielt sich aber zum augenblicklichen Griffe bereit.
»Du bist kein Uëlad Hamalek?«
»Ich bin einer.«
»Du kommst nicht von Gafsa?«
»Ich komme von dort.«
»Wie lange Zeit reitest du bereits im Wadi Tarfaui?«
»Was geht es dich an!«
»Es geht mich sehr viel an. Da oben liegt die Leiche eines Mannes, den du ermordet hast.«
Ein böser Zug durchzuckte sein Gesicht.
»Und wenn ich es getan hätte, was hättest du darüber zu sagen?«
»Nicht viel; nur einige Worte.«
»Welche?«
»Wer war der Mann?«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Warum hast du ihn und sein Kamel getötet?«
»Weil es mir so gefiel.«
»War er ein Rechtgläubiger?«
»Nein. Er war ein Giaur.«
»Du hast genommen, was er bei sich trug?«
»Sollte ich es bei ihm liegen lassen?«
»Nein, denn du hattest es für mich aufzuheben.«
»Für dich – —?«
»Ja.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Du sollst mich verstehen. Der Tote war ein Giaur; ich bin auch ein Giaur und werde sein Rächer sein.«
»Sein Bluträcher?«
»Nein; wenn ich das wäre, so hättest du bereits aufgehört, zu leben. Wir sind in der Wüste, wo kein Gesetz gilt als nur das des Stärkeren. Ich will nicht erproben, wer von uns der Stärkere ist; ich übergebe dich der Rache Gottes, des Allwissenden, der alles sieht und keine Tat unvergolten läßt; aber das Eine sage ich dir, und das magst du dir wohl merken: du gibst alles heraus, was du dem Toten abgenommen hast.«
Er lächelte überlegen.
»Meinst du wirklich, daß ich dieses tue?«
»Ich meine es.«
»So nimm dir, was du haben willst!«
Er zuckte mit der Hand, um nach dem Revolver zu greifen; schnell aber hielt ich ihm die Mündung des meinigen entgegen.
»Halt, oder ich schieße!«
Es war jedenfalls eine sehr eigentümliche Situation, in der ich mich befand. Glücklicherweise aber schien mein Gegner mehr Verschlagenheit als Mut zu besitzen. Er zog die Hand wieder zurück und schien unentschlossen zu werden.
»Was willst du mit den Sachen tun?«
»Ich werde sie den Verwandten des Toten zurückgeben.«
Es war fast eine Art von Mitleid, mit der er mich jetzt fixierte.
»Du lügst. Du willst sie für dich behalten!«
»Ich lüge nicht.«
»Und was wirst du gegen mich unternehmen?«
»Jetzt nichts; aber hüte dich, mir jemals wieder zu begegnen!«
»Du reitest wirklich von hier nach Seddada?«
»Ja.«
»Und wenn ich dir die Sachen gebe, wirst du mich und meinen Gefährten ungehindert nach dem Bir Sauidi gehen lassen?«
»Ja.«
»Du versprichst es mir?«
»Ja.«
»Beschwöre es!«
»Ein Giaur schwört nie; sein Wort ist auch ohne Schwur die Wahrheit.«
»Hier, nimm das Drehgewehr, die Uhr, den Kompaß und das Tuch.«
»Was hatte er noch bei sich?«
»Nichts.«
»Er hatte Geld.«
»Das werde ich behalten.«
»Ich habe nichts dagegen; aber gib mir den Beutel oder die Börse, in der es sich befand.«
»Du sollst sie haben.«
Er griff in seinen Gürtel und zog eine gestickte Perlenbörse hervor, die er leerte und mir dann entgegenreichte.
»Weiter hatte er nichts bei sich?«
»Nein. Willst du mich aussuchen?«
»Nein.«
»So können wir gehen?«
»Ja.«
Er schien sich jetzt doch leichter zu fühlen als vorhin; sein Begleiter aber war ganz sicher ein furchtsamer Mensch, der sehr froh war, auf diese Weise davonzukommen. Sie nahmen ihre Habseligkeiten zusammen und bestiegen ihre Pferde.
»Salam aaleïkum, Friede sei mit euch!«
Ich antwortete nicht, und sie nahmen diese Unhöflichkeit sehr gleichgültig hin. In wenigen Augenblicken waren sie hinter dem Rande des Wadiufers verschwunden.
Halef hatte bis jetzt kein einziges Wort gesprochen; nun brach er sein Schweigen.
»Sihdi!«
»Was?«
»Darf ich dir etwas sagen?«
»Ja.«
»Kennst du den Strauß?«
»Ja.«
»Weißt du, wie er ist?«
»Nun?«
»Dumm, sehr dumm.«
»Weiter!«
»Verzeihe mir, Effendi, aber du kommst mir noch schlimmer vor, als der Strauß.«
»Warum?«
»Weil du diese Schurken laufen lässest.«
»Ich kann sie nicht halten und auch nicht töten.«
»Warum nicht? Hätten sie einen Rechtgläubigen ermordet, so kannst du dich darauf verlassen, daß ich sie zum Scheïtan, zum Teufel, geschickt hätte. Da es aber ein Giaur war, so ist es mir sehr gleichgültig, ob sie Strafe finden oder nicht. Du aber bist ein Christ und lässest die Mörder eines Christen entkommen!«
»Wer sagt dir, daß sie entkommen werden?«
»Sie sind ja bereits fort! Sie werden den Bir Sauidi erreichen und von da nach Debila und El Uëd gehen, um in der Areg[10] zu verschwinden.«
»Das werden sie nicht.«
»Was sonst? Sie sagten ja, daß sie nach Bir Sauidi gehen werden.«
»Sie logen. Sie werden nach Seddada gehen.«
»Wer sagte es dir?«
»Meine Augen.«
»Allah segne deine Augen, mit denen du die Stapfen im Sande betrachtest. So wie du kann nur ein Ungläubiger handeln. Aber ich werde dich schon noch zum rechten Glauben bekehren; darauf kannst du dich verlassen, du magst nun wollen oder nicht!«
»Dann nenne ich mich einen Pilger, ohne in Mekka gewesen zu sein.«
»Sihdi – —! Du hast mir ja versprochen, das nicht zu sagen!«
»Ja, so lange du mich nicht bekehren willst.«
»Du bist der Herr, und ich muß es mir gefallen lassen. Aber, was tun wir jetzt?«
»Wir sorgen zunächst für unsere Sicherheit. Hier können wir leicht von einer Kugel getroffen werden. Wir müssen uns überzeugen, ob diese beiden Schurken auch wirklich fort sind.«
Ich erstieg den Rand der Schlucht und sah allerdings die zwei Reiter in bereits sehr großer Entfernung von uns auf Südwest zuhalten. Halef war mir gefolgt.
»Dort reiten sie,« meinte er. »Das ist die Richtung nach Bir Sauidi.«
»Wenn sie sich weit genug entfernt haben, werden sie sich nach Osten wenden.«
»Sihdi, dein Gehirn dünkt mir schwach. Wenn sie dies täten, müßten sie uns ja wieder in die Hände kommen!«
»Sie meinen, daß wir erst morgen aufbrechen, und glauben also, einen guten Vorsprung vor uns zu erlangen.«
»Du rätst und wirst doch das Richtige nicht treffen.«
»Meinst du? Sagte ich nicht da oben, daß eins ihrer Pferde den Hahnentritt habe?«
»Ja, das sah ich, als sie davonritten.«
»So werde ich auch jetzt recht haben, wenn ich sage, daß sie nach Seddada gehen.«
»Warum folgen wir ihnen nicht sofort?«
»Wir kämen ihnen sonst zuvor, da wir den geraden Weg haben; dann würden sie auf unsere Spur stoßen und sich hüten, mit uns wieder zusammenzutreffen.«
»Laß uns also wieder zum Wasser gehen und ruhen, bis es Zeit zum Aufbruch ist.«
Wir stiegen wieder hinab. Ich streckte mich auf meine am Boden ausgebreitete Decke aus, zog das Ende meines Turbans als Lischam[11] über das Gesicht und schloß die Augen, nicht um zu schlafen, sondern um über unser letztes Abenteuer nachzudenken. Aber wer vermag es, in der fürchterlichen Glut der Sahara seine Gedanken längere Zeit mit einer an sich schon unklaren Sache zu beschäftigen? Ich schlummerte wirklich ein und mochte über zwei Stunden geschlafen haben, als ich wieder erwachte. Wir brachen auf.
Das Wadi Tarfaui mündet in den Schott Rharsa: wir mußten es also nun verlassen, wenn wir, nach Osten zu, Seddada erreichen wollten. Nach Verlauf von vielleicht einer Stunde trafen wir auf die Spur zweier Pferde, welche von West nach Ost führte.
»Nun, Halef, kennst du diese Ethar, diese Fährte?«
»Masch Allah, du hattest recht, Sihdi! Sie gehen nach Seddada.«
Ich stieg ab und untersuchte die Eindrücke.
»Sie sind erst vor einer halben Stunde hier vorübergekommen. Laß uns langsam reiten, sonst sehen sie uns hinter sich.«
Die Ausläufer des Dschebel Tarfaui senkten sich allmählich in die Ebene hernieder, und als die Sonne unterging und nach kurzer Zeit der Mond emporstieg, sahen wir Seddada zu unsern Füßen liegen.
»Reiten wir hinab?« fragte Halef.
»Nein. Wir schlafen unter den Oliven dort am Abhange des Berges.«
Wir bogen ein wenig von unserer Richtung ab und fanden unter den Oelbäumen einen prächtigen Platz zum Biwak. Wir waren beide an das heulende Bellen des Schakal, an das Gekläffe des Fennek und an die tieferen Töne der schleichenden Hyäne gewöhnt und ließen uns von diesen nächtlichen Lauten nicht im Schlafe stören. Als wir erwachten, war es mein erstes, die gestrige Fährte wieder aufzusuchen. Ich war überzeugt, daß sie mir hier in der Nähe eines bewohnten Ortes nicht mehr von Nutzen sein werde, fand aber zu meiner Ueberraschung, daß sie nicht nach Seddada führte, sondern nach Süden bog.
»Warum gingen sie nicht hernieder?« fragte Halef.
»Um sich nicht sehen zu lassen. Ein verfolgter Mörder muß vorsichtig sein.«
»Aber wohin gehen sie denn?«
»Jedenfalls nach Kris, um über den Dscherid zu reiten. Dann haben sie Algerien hinter sich und sind in leidlicher Sicherheit.«
»Wir sind doch bereits in Tunis. Die Grenze geht vom Bir el Khalla zum Bir el Tam über den Schott Rharsa.«
»Das kann solchen Leuten noch nicht genügen. Ich wette, daß sie über Fezzan nach Kufarah gehen, denn erst dort sind sie vollständig sicher.«
»Sie sind auch hier bereits sicher, wenn sie ein Budjeruldu[12] des Sultans haben.«
»Das würde ihnen einem Konsul oder Polizei-Agenten gegenüber nicht viel nützen.«
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