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»Er kann nicht getötet werden; er ist ein Giölgeda padischahnün!«
»Tut aghyzi, halte den Mund! Er ist ein Giölgeda padischanün, das heißt, er steht im Schatten des Padischah; dieser Fremdling aber ist ein Giölgeda wekilanün, das heißt, er steht im Schatten der Statthalterin, in meinem Schatten, hörst du? Und wer in meinem Schatten steht, den soll deine Hitze nicht verderben. Steh auf und folge mir!«
Er erhob sich; sie wandte sich zum Gehen, und er machte Miene, sich ihr anzuschließen. Das war natürlich ganz gegen meine Absicht.
»Halt!« gebot ich, indem ich ihn nochmals beim Genick faßte. »Du bleibst da!«
Da wandte sie sich um.
»Hast du nicht gesagt, daß du ihn freigeben willst?« fragte sie.
»Ja, doch nur unter der Bedingung, daß er an seinem Platze bleibt.«
»Er kann doch nicht in alle Ewigkeit hier sitzen bleiben!«
»Du hast recht, o Perle von Kbilli; aber er kann jedenfalls so lange hier bleiben, bis meine Angelegenheit erledigt ist.«
»Die ist bereits erledigt.«
»Inwiefern?«
»Habe ich dir nicht gesagt, daß du uns willkommen bist?«
»Das ist richtig.«
»Du bist also unser Gast und sollst mit den Deinen so lange bei uns wohnen, bis es dir gefällig ist, uns wieder zu verlassen.«
»Und Abu en Nassr, den du Abu el Jalani genannt hast?«
»Er bleibt dein, und du kannst mit ihm machen, was du willst.«
»Ist das wahr, Wekil?«
Er zögerte, eine Antwort zu geben, doch ein strenger Blick aus den Augen seiner Herrin zwang ihn, zu sprechen:
»Ja.«
»Du schwörst es mir?«
»Ich schwöre es.«
»Bei Allah und seinem Propheten!«
»Muß ich?« fragte er Madame, die Rose von Kbilli.
»Du mußt!« antwortete sie sehr entschieden.
»So schwöre ich es bei Allah und dem Propheten.«
»Nun darf er mit mir gehen?« fragte sie mich.
»Er darf,« antwortete ich.
»Du wirst nachkommen und mit uns einen Hammel mit Kuskussu speisen.«
»Hast du einen Ort, an dem ich Abu en Nassr sicher aufbewahren kann?«
»Nein. Binde ihn an den Stamm der Palme dort an der Mauer. Er wird dir nicht entfliehen, denn ich werde ihn durch unsere Truppen bewachen lassen.«
»Ich werde ihn selbst bewachen,« antwortete Omar an meiner Stelle. »Er wird mir nicht entfliehen, sondern mit seinem Tode das Leben meines Vaters bezahlen. Mein Messer wird so scharf sein, wie mein Auge.«
Der Mörder hatte von dem Augenblick seiner Fesselung an nicht das kleinste Wort gesprochen; aber sein Auge glühte tückisch und unheimlich auf uns, als er uns nach der Palme folgen mußte, an welcher wir ihn festbanden. Es lag wahrhaftig nicht in meiner Absicht, ihm das Leben zu nehmen; aber er war der Blutrache verfallen, und ich wußte, daß keine Bitte meinerseits Omar vermocht hätte, ihn zu begnadigen. Ed d‘em b‘ed d‘em, oder wie der Türke sagt, kan kanü ödemar, das Blut bezahlt das Blut. Am liebsten wäre es mir trotz allem gewesen, wenn es ihm gelingen konnte, ohne meine Mitwissenschaft zu entwischen; aber so lange ich mich auf seiner Fährte befunden hatte und so lange er sich in meiner Gewalt befand, mußte ich ihn als Feind und Mörder betrachten und also auch als solchen behandeln. Gewiß war es auf alle Fälle, daß er mich nicht schonen würde, falls ich das Unglück haben sollte, in seine Hand zu fallen.
Ich ließ ihn also in der Obhut Omars und begab mich mit Halef nach dem Selamlük. Unterwegs fragte mich der kleine Diener:
»Du sagtest, dieser Mensch sei kein Moslem. Ist dies wahr?«
»Ja. Er ist ein armenischer Christ und gibt sich da, wo er es für geboten hält, für einen Mohammedaner aus.«
»Und du hältst ihn für einen schlechten Menschen?«
»Für einen sehr schlechten.«
»Siehst du, Effendi, daß die Christen schlechte Menschen sind! Du mußt dich zum wahren Glauben bekennen, wenn du nicht in alle Ewigkeit in der Dschehenna braten willst!«
»Und du wirst selbst so lange darin braten!«
»Weshalb?«
»Hast du mir nicht erzählt, daß im Derk Asfal, in der siebenten und tiefsten Hölle, alle Lügner und Heuchler braten und die Teufelsköpfe vom Baume Zakum essen müssen?«
»Ja, aber was habe ich damit zu schaffen?«
»Du bist ein Lügner und Heuchler!«
»Ich, Sihdi? Meine Zunge redet die Wahrheit, und in meinem Herzen ist kein Falsch. Wer mich so nennt, wie du mich nanntest, den wird meine Kugel treffen!«
»Du lügst, Mekka gesehen zu haben, und heuchelst, ein Hadschi zu sein. Soll ich das dem Wekil erzählen?«
»Aman, aman, verzeihe! Das wirst du nicht tun an Hadschi Halef Omar, dem treuesten Diener, den du finden kannst!«
»Nein, ich werde es nicht tun; aber du kennst auch die Bedingung, unter welcher ich schweige.«
»Ich kenne sie und werde mich in acht nehmen, doch wirst du dennoch ein wahrer Gläubiger werden, du magst nun wollen oder nicht, Sihdi!«
Wir traten ein und wurden bereits von dem Wekil erwartet. Es war keineswegs die freundlichste Miene, mit welcher er mich empfing.
»Setze dich!« lud er mich ein.
Ich folgte seiner Aufforderung und nahm hart neben ihm Platz, während Halef sich mit den Pfeifen zu tun machte, welche man mittlerweile in einer Ecke des Raumes bereitgestellt hatte.
»Warum wolltest du das Angesicht meines Weibes sehen?« begann die Unterhaltung.
»Weil ich ein Franke bin, der gewohnt ist, stets das Angesicht dessen zu sehen, mit dem er spricht.«
»Ihr habt schlechte Sitten! Unsere Frauen verbergen sich, die eurigen aber lassen sich sehen. Unsere Frauen tragen Kleider, die oben lang und unten kurz sind; die eurigen aber haben Gewänder, welche oben kurz und unten lang, oft auch oben und unten zugleich kurz sind. Habt ihr jemals eine unserer Frauen bei euch gesehen? Eure Mädchen aber kommen zu uns, und weshalb? O jazik, o wehe!«
»Wekil, ist das die Gastfreundschaft, welche mir von euch geboten wurde? Seit wann ist es Sitte geworden, den Gastfreund mit einer Beleidigung zu empfangen? Ich brauche weder deinen Hammel noch dein Kuskussu und werde wieder hinuntergehen in den Hof. Folge mir!«
»Effendi, verzeihe mir! Ich wollte dir nur sagen, was ich dachte, aber ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Wer nicht beleidigen will, darf nicht stets sagen, was er denkt. Ein schwatzhafter Mann gleicht einem zerbrochnen Topfe, den niemand brauchen kann, weil er nichts bewahrt.«
»Setze dich wieder nieder, und erzähle mir, wo du Abu en Nassr getroffen hast.«
Ich erstattete ihm ausführlichen Bericht von unserem Abenteuer. Er hörte schweigend zu und schüttelte sodann den Kopf.
»Du glaubst also, daß er den Kaufmann in Blidah ermordet hat?«
»Ja.«
»Du warst nicht dabei!«
»Ich schließe es.«
»Nur Allah darf schließen; er ist allwissend, und des Menschen Gedanke ist wie der Reiter, den ein ungehorsames Pferd dorthin trägt, wohin er nicht kommen wollte.«
»Nur Allah darf schließen, weil er allwissend ist? O Wekil, dein Geist ist müde von den vielen Hammeln mit Kuskussu, die du gegessen hast! Eben weil Allah allwissend ist, braucht er nicht zu schließen; wer schließt, der sucht ein Ergebnis seiner Folgerungen, ohne es vorher zu kennen.«
»Ich höre, daß du ein Taleb bist, ein Gelehrter, der viele Schulen besucht hat, denn du sprichst in Worten, die niemand verstehen kann. Und du glaubst auch, daß er den Mann im Wadi Tarfaui getötet hat?«
»Ja.«
»Warst du dabei?«
»Nein.«
»So hat es dir der Tote erzählt?«
»Wekil, die Hammel, welche du verzehrtest, hätten gewußt, daß ein Toter nicht mehr sprechen kann!«
»Effendi, jetzt sprichst du selbst eine Unhöflichkeit! Also du warst nicht dabei, und der Tote konnte es dir nicht sagen; woher also willst du wissen, daß er ein Mörder ist?«
»Ich schließe es.«
»Ich habe dir bereits gesagt, daß nur Allah schließen darf!«
»Ich habe seine Spur gesehen und verfolgt, und als ich ihn traf, hat er mir den Mord eingestanden.«
»Daß du seine Spur gefunden hast, ist kein Beweis, daß er ein Mörder ist, denn mit einer Spur hat noch niemand einen Menschen erschlagen. Und daß er dir den Mord eingestanden hat, das macht mich nicht irre; er ist ein Kusch-schakanün, ein Spaßvogel, dessen Absicht es war, sich einen Scherz zu machen.«
»Mit einem Morde spaßt man nicht!«
»Aber mit einem Menschen, und der warst du. Und du glaubst auch endlich, daß er den Führer Sadek erschossen hat?«
»Ja.«
»Du warst dabei?«
»Allerdings.«
»Und hast es gesehen?«
»Sehr deutlich. Auch Hadschi Halef Omar ist Zeuge.«
»Nun wohl, so hat er ihn erschossen; aber willst du wirklich deshalb sagen, daß er ein Mörder sei?«
»Natürlich!«
»Sihdi, Allah stärke deine Gedanken, denn du sollst gleich einsehen, daß der Mensch nicht schließen soll!«
»Nun?«
»Weil du Zeuge bist, daß er den Führer erschossen hat, schließest du, daß er ein Mörder sei?«
»Das versteht sich doch ganz von selbst.«
»Falsch! Wenn es nun eine Blutrache gewesen wäre. Gibt es in deinem Lande keine Blutrache?«
»Nein.«
»So sage ich dir, daß der Bluträcher niemals ein Mörder ist. Kein Richter verdammt ihn; nur diejenigen, zu denen der Tote gehörte, haben das Recht, ihn zu verfolgen.«
»Aber Sadek hat ihn nicht beleidigt!«
»So wird ihn der Stamm beleidigt haben, zu welchem Sadek gehörte.«
»Auch das ist nicht der Fall. Wekil, ich will dir sagen, daß ich meinerseits mit diesem Abu en Nassr, der eigentlich Hamd el Amasat heißt und schon vorher wohl auch noch einen armenischen Namen getragen hat, gar nichts zu schaffen haben mag, sobald er mich in Ruhe läßt. Aber er hat den Führer Sadek erschlagen, dessen Sohn Omar Ben Sadek ist, und dieser letztere hat also, wie du vorhin selbst erklärtest, ein Recht auf das Leben des Mörders. Mache es mit ihm ab, doch sorge auch dafür, daß mir dieser Vater der Sieger nicht wieder begegnet, sonst rechne ich mit ihm ab!«
»Sihdi, jetzt trieft deine Rede von Weisheit. Ich werde mit Omar sprechen, der ihn freigeben soll; du aber bist mein Gast, so lange es dir gefällt.«
Er erhob sich und schritt nach dem Hofe. Ich wußte voraus, daß alle seine Bemühungen bei Omar vergeblich sein würden. Wirklich kehrte er nach einer Zeit mit finsterer Miene zurück und blieb auch schweigsam, als der am Spieße gebratene Hammel aufgetragen wurde, den die lieblichen Hennafinger der »Rose von Kbilli« zubereitet hatten. Ich und Halef, wir langten wacker zu, und eben hatte mir der Wekil gesagt, daß Omar seine Mahlzeit hinaus in den Hof bekommen solle, da er nicht zu bewegen sei, von seinem Gefangenen fortzugehen, als draußen ein lauter Schrei erscholl. Ich horchte auf, und der Ruf wiederholte sich:
»Breh, Effendina, zu Hilfe!«
Dieser Ruf galt mir. Ich sprang auf und eilte hinaus. Omar lag an der Erde und balgte sich mit den Soldaten herum, der Gefangene aber war nicht zu sehen. Am andern Ausgange aber stand der Schwarze und grinste mir mit schadenfroher Miene entgegen:
»Fort, Sihdi – dort reiten!«
Drei Schritte brachten mich vor das Haus, und ich sah Abu en Nassr eben zwischen den Palmen verschwinden. Er ritt ein Eilkamel, welches einen ganz famosen Schritt zu haben schien. Ich erriet alles. Der Wekil war erfolglos im Hofe gewesen, aber er wollte Abu en Nassr retten; er hatte dem Schwarzen den Befehl gegeben, das Kamel bereit zu halten, und den Soldaten befohlen, Omar zu halten und den Gefangenen loszuschneiden. Die elf mutigen Helden hatten sich an diesen einen gewagt, und der Streich war gelungen.
Freilich hatten sie dieses Gelingen teuer bezahlt. Omar hatte sein Messer gebraucht, und als ich den Knäuel, den die Kämpfenden bildeten, auseinanderbrachte, sah ich, daß mehrere von ihnen bluteten.
»Er ist fort, Sihdi!« keuchte der junge Führer vor Wut und Anstrengung.
»Ich sah es.«
»Wohin?«
»Dorthin.«
Ich deutete mit der Hand die Himmelsrichtung an.
»Strafe du diese hier, Effendi, ich aber werde dem Entflohenen nachjagen.«
»Er saß auf einem Reitkamele.«
»Ich werde ihn dennoch ereilen.«
»Du hast kein Tier!«
»Sihdi, ich habe hier Freunde, welche mir ein edles Tier geben werden, und Datteln und Wasserschläuche. Ehe er am Horizonte verschwindet, werde ich auf seiner Spur sein. Du wirst auch die meinige finden, wenn du mir nachkommen willst.«
Er eilte von dannen.
Halef hatte alles gesehen und mir auch geholfen, Omar aus den Händen der Soldaten zu befreien. Er glühte vor Zorn.
»Warum habt ihr diesen Menschen befreit, ihr Hunde, ihr Abkömmlinge von Mäusen und Ratten – — —«
Er hätte sicherlich seine Strafpredigt fortgesetzt, wenn nicht die Wekila auf dem Platze erschienen wäre. Sie war wieder dicht verschleiert.
»Was ist geschehen?« fragte sie mich.
»Deine Truppen sind über meinen Führer hergefallen —«
»Ihr Schurken, ihr Buben!« rief sie, mit dem Fuße stampfend und die roten Fäuste durch die Hülle zwängend.
»Und haben den Gefangenen befreit – — —«
»Ihr Spitzbuben, ihr Betrüger!« fuhr sie fort, und es hatte allen Anschein, als ob sie sich an ihnen vergreifen werde.
»Auf Befehl des Wekil,« fügte ich hinzu.
»Des Wekil? – Der Wurm, der Ungehorsame, der Unnütze, der Trotzkopf! Meine Hand soll über ihn kommen, und zwar sogleich, in diesem Augenblick!«
Sie wandte sich um und ruderte in vollem Zorne nach dem Selamlük.
O du beglückende Pantoffelherrschaft, dein Zepter ist ganz dasselbe im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen!
Halef machte ein sehr befriedigtes Gesicht und meinte:
»Sie ist der Wekil und er die Wekila, und wir stehen uns hier besser im Giölgeda wekilanün, im Schatten der Statthalterin, als wenn wir ein Bu-Djeruldu hätten und der Giölgeda padischahnün, der Schatten des Großherrn, uns beschützte. Hamdulillah, Preis sei Allah, daß ich nicht so glücklich bin, der Wekil dieser Statthalterin zu sein!«
Drittes Kapitel: Im Harem
Es war um die Zeit, in welcher die ägyptische Sonne ihre Strahlen mit der gesteigertsten Glut auf die Erde sendet und ein jeder, den nicht die Not hinaus unter den freien Himmel treibt, sich unter den Schutz seines Daches zurückzieht und nach der möglichsten Ruhe und Kühlung strebt.
Auch ich lag auf dem weichen Diwan meiner gemieteten Wohnung, schlürfte würzigen Mokka und schwelgte im Dufte des köstlichen Djebeli, welcher meiner Pfeife entströmte. Die starken, nach außen fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrande Einhalt, und die aufgestellten, porösen Tongefäße, durch deren Wände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphäre so erträglich, daß ich von der während der Mittagszeit hier so gewöhnlichen Abspannung des Menschen wenig oder gar nichts bemerkte.
Da erhob sich draußen die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha.
Halef Agha? Ja, mein guter, kleiner Halef war ein Agha, ein Herr geworden, und wer hatte ihn dazu gemacht? Spaßhafte Frage! Wer denn sonst als er selbst!
Wir waren über Tripolis und Kufarah nach Aegypten gekommen, hatten Kairo besucht, welches der Aegypter schlechtweg el Masr, die Hauptstadt, oder noch lieber el Kahira, die Siegreiche, nennt, waren den Nil, so weit es mir meine beschränkten Mittel erlaubten, hinaufgefahren und hatten uns dann zum Ausruhen die Wohnung genommen, in welcher ich mich ganz wohl befunden hätte, wenn nicht mein sonst ganz prächtiger Diwan und alle Teppiche sehr dicht von jenen springfertigen, stechkundigen Geschöpfen heimgesucht worden wären, von welchen der alte, gute Fischart dichtete:
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