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Der voranschreitende Bote führte uns durch einen dunkeln, niedrigen Torgang in einen kleinen Hof, dessen Mitte ein Bassin einnahm. Also bis hierher führte der Kanal, welchen ich vorhin bemerkt hatte, und der Erbauer des einsamen Hauses war klugerweise vor allen Dingen darauf bedacht gewesen, sich und die Seinigen reichlich mit dem zu versorgen, was in dem heißen Klima jener Länderstriche das Notwendigste und Unentbehrlichste ist. Zugleich bemerkte ich nun auch, daß der ganze Bau darauf gerichtet war, die jährlich wiederkehrenden Ueberschwemmungen des Nils schadlos aushalten zu können.
In diesen Hof hinab gingen mehrere hölzerne Gitterwerke, hinter denen jedenfalls die zum Aufenthalt dienenden Räume lagen. Ich konnte ihnen jetzt keine große, zeitraubende Betrachtung schenken, sondern gab meinem Diener einen Wink, mit der Apotheke, welche er umhängen hatte, hier des weiteren zu harren, und folgte dem Wegweiser in das Selamlück des Hauses.
Es war ein geräumiges, halbdunkles und hohes Zimmer, durch dessen vergitterte Fensteröffnungen ein wohltuendes gedämpftes Licht fiel. Durch die aufgeklebten Tapeten und Arabesken und Ornamente hatte es einen wohnlichen Anstrich erhalten, und die in einer Nische stehenden Wasserkühlgefäße erzeugten eine recht angenehme Temperatur. Ein Geländer trennte den Raum in zwei Hälften, deren vordere für die Dienerschaft, die hintere aber für den Herrn und die besuchenden Gäste bestimmt war. Den erhöhten Hintergrund zierte ein breiter Diwan, welcher von einer Ecke in die andere reichte, und auf dem Abrahim-Mamur, der »Besitzer von vielen Beuteln«, saß.
Er erhob sich beim Eintritte, blieb aber der Sitte gemäß vor seinem Sitze stehen. Da ich nicht die dort gewöhnliche Fußbekleidung trug, so konnte ich mich ihrer auch nicht entledigen, sondern schritt, unbekümmert um meine Lederstiefel, über die kostbaren Teppiche und ließ mich an seiner Seite nieder. Die Diener brachten den unvermeidlichen Kaffee und die noch notwendigeren Pfeifen, und nun konnte das weitere folgen.
Mein erster Blick war natürlich nach seiner Pfeife gerichtet gewesen, denn jeder Mensch des Orients weiß, daß man an derselben sehr genau die Verhältnisse ihres Besitzers zu erkennen vermag. Das lange, wohlriechende und mit stark vergoldetem Silberdraht umsponnene Rohr hatte gewiß seine tausend Piaster gekostet. Teurer aber war das Bernsteinmundstück, welches aus zwei Teilen bestand, zwischen denen ein mit Edelsteinen besetzter Ring hervorschimmerte. Der Mann schien wirklich »viele Beutel« zu besitzen, nur war dies kein Grund, mich befangen zu machen, da mancher Inhaber einer Pfeife im Werte von zehntausend Piastern seinen Reichtum doch nur den geknechteten Untertanen entwendet oder geraubt hat. Lieber also einen prüfenden Blick in das Gesicht!
Wo hatte ich diese Züge doch nur bereits einmal gesehen, diese schönen, feinen und in ihrer Mißharmonie doch so diabolischen Züge? Forschend, scharf, stechend, nein, förmlich durchbohrend senkt sich der Blick des kleinen, unbewimperten Auges in den meinen und kehrt dann kalt und wie beruhigt wieder zurück. Glühende und entnervende Leidenschaften haben diesem Gesichte immer tiefere Spuren eingegraben; die Liebe, der Haß, die Rache, der Ehrgeiz sind einander behilflich gewesen, eine großartig angelegte Natur in den Schmutz des Lasters herniederzureißen und dem Aeußeren des Mannes jenes unbeschreibliche Etwas zu verleihen, welches dem Guten und Reinen ein sicheres Warnungszeichen ist.
Wo bin ich diesem Manne begegnet? Gesehen habe ich ihn; ich muß mich nur besinnen; aber das fühle ich, unter freundlichen Umständen ist es nicht gewesen.
»Salam aaleïkum!« ertönte es langsam zwischen dem vollen, prächtigen, aber schwarzgefärbten Barte hervor.
Diese Stimme war kalt, klanglos, ohne Leben und Gemüt; es konnte einem dabei ein Schauer ankommen.
»Aaleïkum!« antwortete ich.
»Möge Allah Balsam wachsen lassen auf den Spuren deiner Füße und Honig träufeln von den Spitzen deiner Finger, damit mein Herz nicht mehr höre die Stimme seines Kummers!«
»Gott gebe dir Frieden und lasse mich finden das Gift, welches an dem Leben deines Glückes nagt,« erwiderte ich seinen Gruß, da nicht einmal der Arzt nach dem Weibe des Muselmannes fragen darf, ohne den größten Verstoß gegen die Höflichkeit und Sitte zu begehen.
»Ich habe gehört, daß du ein weiser Hekim seiest. Welche Medresse[21] hast du besucht?«
»Keine.«
»Keine?«
»Ich bin kein Moslem.«
»Nicht? Was sonst?«
»Ein Nemsi!«
»Ein Nemsi! O, ich weiß, die Nemsi sind kluge Leute; sie kennen den Stein der Weisen und das Abracadabra, welches den Tod vertreibt.«
»Es gibt weder einen Stein der Weisen noch ein Abracadabra.«
Er blickte mir kalt in die Augen.
»Vor mir brauchst du dich nicht zu verbergen. Ich weiß, daß die Zauberer von ihrer Kunst nicht sprechen dürfen, und will sie dir auch gar nicht entlocken, nur helfen sollst du mir. Wodurch vertreibst du die Krankheit eines Menschen, durch Worte oder durch einen Talisman?«
»Weder durch Worte noch durch einen Talisman, sondern durch die Medizin.«
»Du sollst dich nicht vor mir verstecken. Ich glaube an dich, denn trotzdem du kein Moslem bist, ist doch deine Hand mit Erfolg begabt, als hätte sie der Prophet gesegnet. Du wirst die Krankheit finden und besiegen.«
»Der Herr ist allmächtig; er kann retten und verderben, und nur ihm allein gebührt die Ehre. Doch wenn ich helfen soll, so sprich!«
Diese direkte Aufforderung, ein wenn auch noch so unbedeutendes Geheimnis seines Haushaltes preiszugeben, schien ihn unangenehm zu berühren, trotzdem er darauf vorbereitet sein mußte; doch versuchte er sofort, die Schwäche zu verbergen, und befolgte meine Aufforderung:
»Du bist aus dem Lande der Ungläubigen, wo es keine Schande ist, von der zu reden, welche die Tochter einer Mutter ist?«
Ich fühlte mich innerlich amüsiert von der Art und Weise, mit welcher er es zu umgehen suchte, von »seinem Weibe« zu sprechen, doch blieb ich ernst und antwortete ziemlich kalt:
»Du willst, daß ich dir helfen soll und beschimpfest mich?«
»Inwiefern?«
»Du nennst meine Heimat das Land der Ungläubigen.«
»Ihr seid doch ungläubig!«
»Wir glauben an einen Gott, welcher derselbe Gott ist, den ihr Allah nennt. Du heißest mich von deinem Standpunkte aus einen Ungläubigen; mit demselben Rechte könnte ich dich von meinem Standpunkte aus ebenso nennen; aber ich tue es nicht, weil wir Nemsi nie die Pflicht der Höflichkeit verletzen.«
»Schweigen wir über den Glauben! Der Moslem darf nicht von seinem Weibe sprechen; aber du erlaubst, daß ich von den Frauen in Frankhistan rede?«
»Ich erlaube es.«
»Wenn das Weib eines Franken krank ist – — —«
Er sah mich an, als ob er eine Bemerkung von mir erwarte; ich winkte ihm nur, in seiner Rede fortzufahren.
»Also wenn sie krank ist und keine Speise zu sich nimmt —«
»Keine?«
»Nicht die geringste!«
»Weiter!«
»Den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer Wangen verliert – wenn sie müde ist und doch den Genuß des Schlafes nicht mehr kennt – — —«
»Weiter!«
»Wenn sie nur lehnend steht und langsam, schleichend geht – vor Kälte schauert und vor Hitze brennt – — —«
»Ich höre. Fahre fort!«
»Bei jedem Geräusch erschrickt und zusammenzuckt – wenn sie nichts wünscht, nichts liebt, nichts haßt und unter dem Schlage ihres Herzens zittert – — —«
»Immer weiter!«
»Wenn ihr Atem zu sehen ist wie der des kleinen Vogels – wenn sie nicht lacht, nicht weint, nicht spricht – wenn sie kein Wort der Freude und kein Wort der Klage hören läßt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt – wenn sie das Licht der Sonne nicht mehr sehen will und in der Nacht wach in den Ecken kauert – — —«
Wieder blickte er mich an, und in seinen flackernden Augen war eine Angst zu erkennen, welche sich durch jedes der aufgezählten Krankheitssymptome zu nähren und zu vergrößern schien. Er mußte die Kranke mit der letzten, trüben und also schwersten Glut seines fast ausgebrannten Herzens lieb haben und hatte mir, ohne es zu wissen und zu wollen, mit seinen Worten sein ganzes Verhältnis zu ihr verraten.
»Du bist noch nicht zu Ende!« sagte ich.
»Wenn sie zuweilen plötzlich einen Schrei ausstößt, als ob ein Dolch ihr in die Brust gestoßen würde – wenn sie ohne Aufhören ein fremdes Wort flüstert – »
»Welches Wort?«
»Einen Namen.«
»Weiter!«
»Wenn sie hustet und dann Blut über ihre bleichen Lippen fließt – — —«
Er blickte mich jetzt so starr und angstvoll an, daß ich merken mußte, meine Entscheidung sei ein Urteil für ihn, ein befreiendes oder ein vernichtendes. Ich zögerte nicht, ihm das letztere zu geben:
»So wird sie sterben.«
Er saß erst einige Augenblicke so bewegungslos, als habe ihn der Schlag getroffen, dann aber sprang er auf und stand hochaufgerichtet vor mir. Der rote Fez war ihm von dem kahl geschorenen Haupte geglitten, die Pfeife seiner Hand entfallen; in dem Gesicht zuckte es von den widerstreitendsten Gefühlen. Es war ein eigentümliches, ein furchtbares Gesicht; es glich ganz jenen Abbildungen des Teufels, wie sie der geniale Stift Doré‘s zu zeichnen versteht, nicht mit Schweif, Pferdefuß und Hörnern, sondern mit höchster Harmonie des Gliederbaues, jeder einzelne Zug des Gesichts eine Schönheit, und doch in der Gesamtwirkung dieser Züge so abstoßend, so häßlich, so – diabolisch. Sein Auge ruhte mit dem Ausdrucke des Entsetzens auf mir, der sich nach und nach in einen zornigen und dann zuletzt in einen drohenden verwandelte.
»Giaur!« donnerte er mich an.
»Wie sagtest du?« fragte ich kalt.
»Giaur! sagte ich. Wagst du, mir das zu sagen, Hund? Die Peitsche soll dir lehren, wer ich bin, und daß du zu tun hast, nur was ich dir befehle. Stirbt sie, so stirbst auch du; doch machst du sie gesund, so darfst du gehen und kannst verlangen, was dein Herz begehrt!«
Langsam und in tiefster Seelenruhe erhob auch ich mich, stellte mich in meiner ganzen Länge vor ihn hin und fragte:
»Weißt du, was die größte Schande für einen Moslem ist?«
»Was?«
»Sieh nieder auf deinen Fez! Abrahim-Mamur, was sagt der Prophet und was sagt der Kuran dazu, daß du die Scham deines Scheitels vor einem Christen entblößest?«
Im nächsten Augenblick hatte er sein Haupt bedeckt und, vor Grimm dunkelrot im Gesichte, den Dolch aus der Schärpe gerissen.
»Du mußt sterben, Giaur!«
»Wann?«
»Jetzt, sofort!«
»Ich werde sterben, wann es Gott gefällt, nicht aber wann es dir beliebt.«
»Du wirst sterben. Bete dein Gebet!«
»Abrahim-Mamur,« antwortete ich so ruhig wie zuvor, »ich habe den Bären gejagt und bin dem Nilpferde nachgeschwommen; der Elefant hat meinen Schuß gehört, und meine Kugel hat den Löwen, den »Herdenwürgenden« getroffen. Danke Allah, daß du noch lebst, und bitte Gott, daß er dein Herz bezwinge. Du kannst es nicht, denn du bist zu schwach dazu und wirst doch sterben, wenn es nicht sofort geschieht!«
Das war eine neue Beleidigung, eine schwerere als die andere, und mit einem zuckenden Sprunge wollte er mich fassen, fuhr aber sofort zurück, denn jetzt blitzte auch in meiner Hand die Waffe, die man in jenen Ländern niemals weglegen darf. Wir standen einander allein gegenüber, denn er hatte sofort nach der Darreichung des Kaffees und der Pfeifen die Dienerschaft hinausgewinkt, damit sie nichts von unserer zarten Unterhaltung vernehmen solle.
Mit meinem wackeren Halef zusammen hatte ich nicht den mindesten Grund, mich vor den Bewohnern des alten Hauses zu fürchten; nötigenfalls hätten wir beide die wenigen hier wohnenden Männer zusammengeschossen; aber ich ahnte zu viel von dem Schicksale der Kranken, für die ich mich ungemein zu interessieren begann; ich mußte sie sehen und womöglich einige Worte mit ihr sprechen.
»Du willst schießen?« frug er wütend, auf meinen Revolver deutend.
»Ja.«
»Hier, in meinem Hause, in meinem Diwan?«
»Allerdings, wenn ich gezwungen werde, mich zu verteidigen.«
»Hund, es ist wahr, was ich gleich vorhin dachte, als du eintratest!«
»Was ist wahr, Abrahim-Mamur?«
»Daß ich dich bereits einmal gesehen habe.«
»Wo?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wann?«
»Auch das weiß ich nicht; aber das ist sicher, daß es nicht im Guten war.«
»Grade wie heute, denn es sollte mich wundern, wenn diese Zusammenkunft gut enden würde. Du hast mich »Hund« genannt, und ich sage dir, daß dir im nächsten Augenblick, nachdem du dieses Wort noch einmal gesagt hast, meine Kugel im Gehirn sitzen wird. Beachte dies wohl, Abrahim-Mamur!«
»Ich werde meine Diener rufen!«
»Rufe sie, wenn du ihre Leichen sehen willst, um dich dann tot neben sie zu legen.«
»Oho, du bist kein Gott!«
»Aber ein Nemsi. Hast du schon einmal die Hand eines Nemsi gefühlt?«
Er lächelte verächtlich.
»Nimm dich in acht, daß du sie nicht einmal zu fühlen bekommst! Sie ist nicht in Rosenöl gebadet, wie die deinige. Aber ich will dir den Frieden deines Hauses lassen. Lebe wohl. Du willst es nicht, daß ich den Tod bezwinge; dein Wunsch mag sich erfüllen; rabbena chaliek, der Herr erhalte dich!«
Ich steckte den Revolver ein und schritt der Türe zu.
»Bleib!« rief er.
Ich schritt dennoch weiter.
»Bleib!« rief er gebieterischer.
Ich hatte beinahe die Türe erreicht und kehrte nicht um.
»So stirb, Giaur!«
Im Nu drehte ich mich um und hatte grad noch Zeit, zur Seite auszuweichen. Sein Dolch flog an mir vorüber und tief in das Getäfel der Wand.
»Jetzt bist du mein, Bube!«
Mit diesen Worten sprang ich auf ihn zu, faßte ihn, grad wie ich ihn erwischte, riß ihn empor und schleuderte ihn an die Wand.
Er blieb einige Sekunden liegen und raffte sich dann wieder empor. Seine Augen waren weit geöffnet, die Adern seiner Stirne zum Bersten geschwollen und seine Lippen blau vor Wut, aber ich hielt ihm den Revolver entgegen, und er blieb eingeschüchtert vor mir halten.
»Jetzt hast du die Hand eines Nemsi kennen gelernt. Wage es nicht wieder, sie zu reizen!«
»Mensch!«
»Feigling! Wie nennt man das, wenn einer einen Arzt um Hilfe bittet, ihn mit Worten beschimpft und dann gar hinterrücks ermorden will? Der Glaube, welcher solche Bekenner hat, kann nicht viel taugen!«
»Zauberer!«
»Warum?«
»Wenn du keiner wärest, hätte dich ganz sicher mein Dolch getroffen, und du hättest nicht die Kraft gehabt, mich emporzuwerfen!«
»Nun wohl! Bin ich ein Zauberer, so hätte ich dir auch Güzela, dein Weib, erhalten können.«
Ich sprach den Namen mit Vorbedacht aus. Es hatte Wirkung.
»Wer hat dir diesen Namen genannt?«
»Dein Bote.«
»Ein Ungläubiger darf nicht den Namen einer Gläubigen aussprechen!«
»Ich spreche nur den Namen eines Weibes aus, welches bereits morgen tot sein kann.«
Wieder blickte er mich mit seiner eisigen Starrheit an, dann aber schlug er die Hände vor das Gesicht.
»Ist es wahr, Hekim, daß sie bereits morgen tot sein kann?«
»Es ist wahr.«
»Kann sie nicht gerettet werden?«
»Vielleicht.«
»Sage nicht vielleicht, sondern sage gewiß. Bist du bereit, mir zu helfen? Wenn sie gesund wird, so fordere, was du willst.«
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