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»Da wir aber auf der Erde reiten müssen?«
»Das ist verschieden. Ich kenne weiter unten einen Paß. Wenn wir gegen Sonnenaufgang reiten, so übernachten wir in einem sichern Walde und erreichen morgen, wenn die Sonne am höchsten steht, das Zagrosgebirge.«
»Dort muß aber wohl die persische Grenze sein, wenn ich nicht irre?«
»Ja, denn dort grenzt das kurdische Land Teratul an den persischen Distrikt von Sakiz, der nach Sinna gehört.«
»Gibt es dort Kurden von Dschiaf?«
»Ja; aber sie sind sehr kriegerisch.«
»Vielleicht nehmen sie uns dennoch gut auf, denn wir haben ihnen nichts getan. Auch ist es möglich, daß der Name des Khan Heider Mirlam uns bei ihnen als eine Empfehlung dienen kann. Führe uns zu dem Passe, von welchem du sprachst. Wir reiten nach Osten!«
Dieses Gespräch war in kurdischer Sprache geführt worden; ich verdolmetschte es den Gefährten, und sie waren mit meiner Anordnung vollkommen einverstanden. Nachdem Amad el Ghandur wieder umgesattelt und sein voriges Pferd bestiegen hatte, setzten wir den Ritt fort. Mohammed Emin nahm den Hengst an die Seite.
Im Laufe dieser unangenehmen Verhandlungen und Begebenheiten war eine geraume Zeit vergangen, und es war ziemlich Mittag, als wir den erwähnten Paß erreichten. Wir befanden uns mitten in den Bergen und wandten uns nun nach Ost, nachdem wir dafür gesorgt hatten, daß keine Spur diese Veränderung unserer Reiserichtung verraten könne.
Bereits nach einer Stunde bemerkten wir, daß sich das Terrain wieder zu senken begann, und auf meine Erkundigung erfuhr ich von Allo, daß zwischen hier und der Zagroskette ein bedeutendes Längental quer zu durchreiten sei.
Der am Morgen vorgefallene Zwist hatte in unserem sonst so brüderlichen Kreise eine tiefe Verstimmung zurückgelassen, die auf meinem Gesichte wohl am deutlichsten zu lesen war. Ich durfte mein Auge gar nicht auf den Hengst richten. Der Bläßfuchs war zwar auch kein übles Pferd, aber die Kurden verstehen ein Pferd nur zu Schanden zu reiten, und ich fühlte mich im Sattel wie ein Anfänger der edlen Turnkunst auf dem dürren Klepper, dessen verborgene Eigenschaften man erst zu studieren hat. Dem Hengst gönnte ich es freilich von ganzem Herzen, daß er jetzt so frei und leicht nebenher traben durfte.
Gegen Abend erreichten wir den Wald, in dem wir unser Lager aufschlagen sollten. Wir hatten bisher keinen einzigen Menschen getroffen, waren aber auf einiges Wild gestoßen, das uns das Material zum Abendessen lieferte. Dieses wurde unter außerordentlicher Schweigsamkeit verzehrt, und dann legten wir uns zur Ruhe.
Ich hatte die erste Wache und saß abseits der andern, an einen Baum gelehnt. Da kam Halef herbei, bückte sich über mich und fragte mit leiser Stimme:
»Sihdi, dein Herz ist betrübt; aber ist das Pferd dir lieber als dein treuer Hadschi Halef Omar?«
»Nein, Halef. Für dich würde ich zehn und noch mehr solche Pferde hingeben.«
»So tröste dich, mein guter Sihdi, denn ich bin bei dir und bleibe bei dir, und kein Haddedihn soll mich von dir wegbringen!«
Er legte seine Hand an seine Brust und streckte sich dann neben mir aus.
Da saß ich nun in stiller Nacht, und das Herz wurde mir groß und weit unter der Gewißheit, die Liebe eines Menschenkindes zu besitzen, eines Menschenkindes, dem auch meine Zuneigung gehörte. Wie glücklich muß ein Mann sein, der eine stille Heimat hat, die unerreicht ist von der Brandung der Schicksalswogen, ein Weib, dem er vertrauen darf, und ein Kind, in welchem er sein veredeltes Ebenbild heranwachsen sieht! Auch das rauhe Herz eines Weltläufers fühlt zuweilen, daß es im Innern des Menschen hinter öden, einsamen Flächen auch Höhen gibt, welche die Sonne mit ihrem Strahle vergolden und erwärmen darf.
Am andern Morgen setzten wir unsern Weg weiter fort, und es zeigte sich, daß Allo sich nicht getäuscht hatte; denn bereits noch vor Mittag lagen die Höhen des Zagros vor uns, und wir durften unsern ermüdeten Pferden eine kurze Ruhe gönnen. Wir lagerten in einem Tale, dessen steile Wände vollständig unzugänglich schienen. Wir ließen die Pferde frei weiden und lagerten uns in das hohe Gras, das so frisch und saftig war, weil das Tal von einem kleinen Bache bewässert wurde.
Lindsay lag neben mir. Er knabberte an einem Knochen herum und brummte unverständliches Zeug dazu. Er war in übler Laune.
Jetzt richtete er sich halb empor und deutete mit der Hand in die Richtung, der ich den Rücken zukehrte. Ich drehte mich um und erblickte drei Männer, die sich uns langsam näherten. Sie waren in dünnes, gestreiftes Zeug gekleidet, hatten keine Schuhe und keine Kopfbedeckung und waren nur mit einem Messer bewaffnet. Solchen armseligen Figuren gegenüber war es wohl nicht nötig, nach den Waffen zu greifen. Sie blieben vor unserer kleinen Gruppe stehen und grüßten ehrerbietig.
»Wer seid ihr?« fragte ich.
»Wir sind Kurden vom Stamme Mer Mamalli.«
»Was tut ihr hier?«
»Wir haben eine Blutrache und sind entflohen, um einen andern Stamm zu suchen, der uns Schutz gewährt. Wer seid ihr, Herr?«
»Wir sind fremde Wanderer.«
»Was tut ihr hier?«
»Wir ruhen aus.«
Der Sprecher schien diese kurzen Antworten gar nicht übel zu nehmen, sondern sagte:
»In diesem Wasser sind Fische. Erlaubst du, daß wir uns einige fangen?«
»Ihr habt ja weder Netz noch Angel!«
»Wir sind geübt, sie mit den Händen zu fangen.«
Auch ich hatte bemerkt, daß hier Forellen standen, und da ich neugierig war, zu sehen, wie man sie mit den Händen fangen könne, so sagte ich:
»Ihr habt gehört, daß wir fremd hier sind; wir können euch das Fischen nicht verwehren.«
Sofort begannen sie, mit ihren Messern Gras zu schneiden. Als sie die nötige Menge davon hatten, trugen sie Steine herbei, um eine bedeutende Krümmung des Baches abzudämmen. Zunächst wurde der untere und dann der obere Damm errichtet. Das Wasser lief ab, und nun konnte man allerdings leicht die trocken gelegten Fische ergreifen. Da die Sache trotz ihrer Einfachheit Interesse hatte, so griffen wir selbst mit zu. Der Fang war reichlich, und da die schlüpfrigen Tiere uns immer wieder entkamen, so richteten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf sie als auf die drei Kurden, bis plötzlich ein lauter Ruf unseres Führers erscholl:
»Herr, paß auf, sie stehlen!«
Ich blickte empor und sah die drei Kerls bereits auf unsern Pferden sitzen: der eine auf dem Hengste, der andere auf meinem Bläß und der dritte auf Lindsays Pferd. Sie sprengten, ehe die Gefährten sich von ihrem Schrecken erholen konnten, davon.
»All devils, mein Pferd!« rief Lindsay.
»Allah kerihm – Gott sei uns gnädig, der Hengst!« schrie Mohammed Emin.
»Ihnen nach!« brüllte Amad el Ghandur.
Ich war der einzige, welcher ruhig blieb. Wir hatten es hier weder mit Pferdedieben noch sonst gewandten Männern zu tun, sonst hätten sie uns nicht die andern Pferde zurückgelassen.
»Halt! Wartet!« rief ich. »Mohammed Emin, bekennst du, daß der Rapphengst wieder dein Eigentum ist?«
»Ja, Emir.«
»Gut! Wiederschenken durfte ich ihn mir nicht lassen, aber leihen kann ich ihn einmal. Willst du ihn mir auf einige Minuten borgen?«
»Er ist ja fort!«
»Sag schnell, ob du ihn mir borgst?«
»Ja, Emir.«
»So kommt mir langsam nach!«
Ich sprang auf das nächste beste Pferd und galoppierte den Spitzbuben nach. Was ich erwartet hatte, war bereits geschehen: eine Strecke weiter unten hing der eine Kurde mit Armen und Beinen auf dem Hengste, welcher die tollsten Sprünge machte, um den Dieb abzuwerfen. Ich war noch nicht ganz herangekommen, als der Kerl zu Boden flog. Der Rappe kam zurück und blieb auf meinen Zuruf bei mir halten. Schnell war ich im Sattel, ließ das andere Pferd stehen und trieb den Hengst vorwärts.
Der Kurde hatte sich wieder aufgerafft und suchte zu entkommen. Ich zog ein Pistol hervor, faßte es am Laufe und erhob die Hand. Hart an ihm vorbeisausend, bog ich mich nieder und schlug ihm den Kolben auf den bloßen Kopf, daß er niederstürzte. Nun steckte ich das Pistol wieder ein und wand den Lasso von der Hüfte. Weit unten sah ich die beiden andern reiten. Ich legte dem Rappen die Hand zwischen die Ohren:
»Rih!«
Er flog dahin, schneller als ein Vogel in der Luft. In kaum einer Minute hatte ich den hintersten erreicht.
»Halte an! Herab vom Pferde!« gebot ich ihm.
Er blickte sich um; ich sah ihn erschrecken; aber er gehorchte nicht, sondern trieb sein Pferd zu größerer Eile an. Jetzt war ich bereits in gleicher Breite mit ihm und warf, an ihm vorüberschießend, den unfehlbaren Riemen. Ein Ruck erfolgte. Ich riß ihn eine Strecke mit vorwärts und hielt dann an, um abzuspringen. Der Mann lag regungslos am Boden. Trotz der außerordentlich kurzen Zeit war er infolge der Schnelligkeit meines Pferdes eine bedeutende Strecke mit fortgerissen worden, so daß er die Besinnung verloren hatte.
Ich wand den Lasso ab, machte eine neue Schlinge, ließ den Kurden liegen, stieg wieder auf und ritt dem dritten und letzten nach. Auch ihn hatte ich bald erreicht. Das Terrain war sehr günstig, da weder rechts noch links ein Ausweg blieb. Ich gebot auch ihm, anzuhalten, fand aber kein Gehör. Da schwirrte der Lasso, und die Schlinge legte sich fest um seine Arme, welche an den Leib gezogen wurden. Noch ein paar Sprünge meines Pferdes, dann hielt ich es an; denn der Kurde lag ebenso wie der andere am Boden, nur daß er bei Besinnung war, da ich ihn nicht weit mit fortgerissen hatte.
Ich sprang ab und schlang ihm den Riemen vollends um den Leib; dann richtete ich ihn empor. Sein Pferd war zitternd stehen geblieben.
»Das also waren die Fische, die ihr fangen wolltet! Wie ist dein Name?«
Er antwortete nicht.
»Du warst ja vorhin nicht stumm. Erwarte keine Gnade, wenn du nicht antwortest! Wie heißest du?«
Er schwieg auch jetzt.
»So bleibe liegen, bis man die beiden andern bringt!«
Ich gab ihm einen Stoß, daß er, weil er sich nicht zu rühren vermochte, steif zur Erde niederfiel. Auch ich setzte mich nieder, da ich die Gefährten von oben kommen sah. In kurzer Zeit waren wir wieder beisammen, hatten unsere Pferde wieder, die Diebe dazu, und – was uns das Willkommenste war – der wackere Allo war so weise gewesen, seine Decke abzuschnallen und, während wir Jagd auf die Kurden machten, die gefangenen Fische einzuwickeln. Er hatte sie mitgebracht, und nun wurde ein Loch in die Erde gemacht und ein Feuer darüber, um sie, wenn auch ohne Wasser und Fischgewürz, genießbar zu machen.
Der gute David Lindsay hatte darob seine gute Laune wiedergefunden. In einer desto schlechteren Stimmung aber schienen sich die drei armen Teufel zu befinden, die sich das Vergnügen einer so kurzen Reitpartie gemacht hatten. Sie wagten kein Auge zu erheben.
»Warum wolltet ihr uns die Pferde nehmen?« fragte ich die Gefangenen.
»Weil wir sie so notwendig brauchen, da wir Flüchtlinge sind.«
Das war allerdings eine Entschuldigung, die ich desto mehr geneigt war, zu berücksichtigen, als der Pferdediebstahl bei den Kurden ganz und gar nicht als ein ehrloses Gewerbe gilt.
»Du bist noch jung. Hast du Eltern zurückgelassen?«
»Ja, und die andern auch; dieser hier sogar sein Weib und ein Kind.«
»Warum sprechen sie nicht?«
»Herr, sie schämen sich!«
»Du aber nicht?«
»Muß nicht einer sein, der dir antwortet?«
»Du scheinst kein übler Bursche zu sein, und da ihr mich dauert, so will ich sehen, ob ich bei meinen Gefährten für euch bitten kann.«
Das war nun allerdings ein erfolgloses Bemühen, denn alle, auch Halef und der Engländer, bestanden darauf, daß eine Strafe unbedingt nötig sei. Lindsay wollte sie durchgeprügelt sehen, ließ aber diesen Antrag fallen, als ich ihm sagte, daß dies eine entehrende Handlung sei, während der Pferderaub als eine ritterliche Tat betrachtet werde.
»Also nicht prügeln,« meinte er. »Well! Dann Schnurrbärte wegsengen! Ausgezeichnet! Pittoresk! Yes!«
Ich mußte lachen und trug den andern den Plan Lindsays vor. Sie stimmten sofort ein. Die drei Männer wurden festgehalten und hatten nach Verlauf von zwei Minuten nur noch die Brandstummel ihrer Bärte im Gesicht. Dann durften sie gehen. Keiner von ihnen hatte sich gewehrt oder ein Wort gesprochen; aber als sie uns verließen, erschrak ich über die Blicke, mit denen sie Abschied von uns nahmen.
Nach längerer Zeit machten auch wir uns zum Aufbruch bereit. Da trat Mohammed Emin zu mir heran:
»Emir, willst du mir einen Gefallen tun?«
»Welchen?«
»Ich will dir für heute meinen Rappen borgen.«
Der schlaue Mann! Er glaubte das Mittel gefunden zu haben, mich wieder mit sich auszusöhnen und mich nach und nach wieder in den Besitz des Pferdes zu bringen.
»Ich brauche ihn nicht,« antwortete ich.
»Aber es kann in jedem Augenblick die Gelegenheit kommen, ihn abermals zu gebrauchen, wie vorhin.«
»Dann werde ich dich bitten.«
»Es kann leicht sein, daß dir keine Zeit zu dieser Bitte bleibt. Reite ihn, Effendi, da ihn kein anderer reiten darf!«
»Unter der Bedingung, daß er dein Eigentum verbleibt!«
»Er soll es bleiben!«
Ich war versöhnlich gestimmt und erfüllte ihm seinen Wunsch, freilich nur mit dem festen Vorsatz, das Pferd niemals wieder anzunehmen. Ich ahnte nicht, daß es anders kommen würde.
Drittes Kapitel: Im Kampfe gefallen
Es konnte nicht unsere Absicht sein, den Zagros zu übersteigen; vielmehr verfolgten wir das Tal, in dem wir uns befanden und das ziemlich genau nach Süden führte. Dann ritten wir über einige grüne Höhen und gelangten endlich, als die Sonne dem Untergange nahe war, an einen hohen, isolierten Felsen, hinter dessen Schutzseite wir unser Nachtlager aufzuschlagen beschlossen. Wir umritten ihn. Ich befand mich an der Spitze, bog um eine Felsenkante und – — hätte beinahe ein junges Kurdenweib überritten, das einen kleinen Knaben auf den Armen trug und heftig erschrocken war. Ganz in der Nähe stand am Saume eines Gebüsches ein steinernes Gebäude, das nicht die Wohnung eines gewöhnlichen Mannes zu sein schien.
Конец ознакомительного фрагмента.
Fußnoten
1
Inselland, arabisches.
2
»Diener Gottes.«
3
»Der Vielgepriesene.«
4
Löwe Gottes; auch Assad Allah el Ahalib, Löwe des siegreichen Gottes.
5
Kalif heißt Stellvertreter.
6
Westen.
- Mein Leben und Streben - Karl May - Классическая проза
- Онича - Жан-Мари Гюстав Леклезио - Классическая проза