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Mohammed Emin zog die Brauen ein wenig zusammen; seine Herrschaft geriet gleich im Anfange ins Wanken.
»Wer Vertrauen zu mir hat, der wird mit mir zufrieden sein,« meinte er. »Doch jetzt wollen wir über den Bebbeh sprechen. Er hat den Tod verdient. Soll er die Kugel oder den Strick erhalten?«
»Keines von beidem. Ich habe dir bereits gesagt, daß ich mich mit meinem Worte für sein Leben verbürgt habe.«
»Emir, das gilt nichts mehr, denn ich bin Anführer geworden. Was der Anführer sagt, das muß geschehen!«
»Was der Anführer sagt, das wird geschehen, wenn die anderen damit einverstanden sind. Ich werde nicht zugeben, daß mein Wort gebrochen wird.«
»Effendi!«
»Scheik Mohammed Emin!«
Da zog der kleine Halef eine seiner Pistolen hervor und fragte mich:
»Sihdi, wünschest du, daß ich irgend jemandem eine Kugel durch den Kopf jage? Bei Allah, ich tue es sofort!«
»Hadschi Halef Omar, laß deine Waffe stecken, denn wir sind Freunde, obgleich die Haddedihn dies zu vergessen scheinen,« antwortete ich ruhig.
»Herr, wir vergessen es nicht,« verteidigte sich Amad el Ghandur; »du aber darfst auch nicht vergessen, daß du ein Christ bist, der sich in Gesellschaft von wahren Gläubigen befindet. Hier gelten die Gesetze des Kuran, und ein Christ soll uns nicht hindern, sie auszuüben. Du hast schon den Bruder dieses Scheiks verteidigt; ihn selbst lassen wir uns nicht entreißen. Warum gebietest du uns, nur auf die Pferde zu schießen? Sind wir Knaben, welche ihre Waffen nur zum Spielen erhielten? Warum sollen wir Verräter schonen? Die Lehre, welcher du folgest, wird dir noch das Leben kosten!«
»Schweig, Amad el Ghandur, denn du bist allerdings noch ein Knabe, obgleich du einen Namen trägst, der »Held« bedeutet! Lerne erst Männer kennen, ehe du redest!«
»Herr,« rief er zornig, »ich bin ein Mann!«
»Nein, denn wärest du ein Mann, so wüßtest du, daß ein solcher nie sich zwingen läßt, sein Wort zu brechen!«
»Du sollst es nicht brechen, denn nur wir sind es, die den Bebbeh bestrafen.«
»Ich verbiete es!«
»Und ich befehle es!« rief Mohammed Emin, indem er sich zornig erhob.
»Hast du hier zu befehlen?« fragte ich ihn.
»Hast du hier zu verbieten?« antwortete er mir.
»Ja. Mein verpfändetes Wort gibt mir das Recht dazu.«
»Dein Wort gilt nichts bei uns. Wir sind es müde, uns von einem Manne regieren zu lassen, der unsere Feinde liebt. Du hast vergessen, was ich an dir tat. Ich nahm dich auf als Gast bei mir; ich beschützte dich; ich gab dir sogar das Pferd, welches mir die Hälfte meines Lebens wert war. Du bist ein Undankbarer!«
Ich fühlte, wie mir das Blut aus den Wangen wich und daß die Hand nach dem Dolche zuckte; aber es gelang mir, mich zu bezwingen.
»Nimm das Wort wieder zurück,« antwortete ich kalt, indem ich mich erhob.
Ich gab Halef einen Wink und schritt dann der Stelle zu, wo der gefangene Scheik mit dem Kohlenbrenner lag. Dort setzte ich mich nieder. Keine Minute später saß auch der Engländer bei mir.
»Was gibt es, Master?« fragte er. »Zounds, Ihr habt ja Wasser im Auge! Mensch, sagt mir, wen ich erschießen oder erwürgen soll!«
»Den, der diesen Gefangenen anzutasten wagt.«
»Wer ist es?«
»Die Haddedihn. Scheik Mohammed warf mir vor, daß ich undankbar sei. Ich habe ihm den Rappen wiedergegeben.«
»Den Rappen? Seid Ihr verrückt, Master, ein solches Tier zurückzugeben, nachdem es Euer festes Eigentum geworden war. Aber ich hoffe, daß es sich noch ändern läßt!«
Da kam Halef herbei, zwei Pferde führend; das eine war das seinige, und das andere war das überzählige, das ich den Bebbeh genommen hatte. Es trug mein Sattelzeug, das Halef dem Rappen abgenommen hatte. Auch meinem kleinen Hadschi stand ein Tropfen im Auge, und seine Stimme zitterte, als er sagte:
»Du hast recht gehandelt, Herr. Der Scheïtan ist in die Haddedihn gefahren. Soll ich die Peitsche nehmen, um ihn wieder auszutreiben?«
»Ich verzeihe ihnen. Laßt uns aufbrechen!«
»Sihdi, was tun wir, wenn sie den Bebbeh töten wollen?«
»Wir schießen sie augenblicklich nieder.«
»Das ist mir recht und lieb! Allah steinige diese Schurken!«
Der Gefangene ward wieder auf sein Pferd gebunden, und wir stiegen auf: ich natürlich nicht auf den Rappen, sondern auf den Bläßfuchs, der in Deutschland ein Vierhunderttalerpferd gewesen wäre. Der kleine Zug setzte sich in Bewegung und kam an den Haddedihn vorüber, die noch im Grase saßen. Sie mochten gemeint haben, daß wir nachgeben würden. Jetzt aber, da sie sahen, daß ich Ernst machte, sprangen sie empor.
»Emir, wohin willst du?« fragte Mohammed Emin.
»Fort,« antwortete ich kurz.
»Ohne uns?«
»Wie es euch beliebt!«
»Wo ist der Rappe?«
»Drüben, wo er angehobbelt war.«
»Maschallah, er ist ja dein!«
»Er ist wieder dein. Salama – Allah gebe dir Friede!«
Ich gab meinem Pferde die Sporen, und wir sausten im Trabe davon. Kaum aber hatten wir eine kleine englische Meile zurückgelegt, so kamen uns die beiden nach. Amad el Ghandur hatte den Rappen bestiegen und führte sein Pferd an der Hand. Jetzt war es ganz unmöglich geworden, den Hengst zurückzunehmen.
Mohammed Emin kam an meine Seite, während sein Sohn zurückblieb.
»Ich denke, ich soll der Führer sein, Emir!« begann er.
»Wir brauchen einen Führer, aber keinen Tyrannen!«
»Ich will den Bebbeh bestrafen, der mich und meinen Sohn gefangen nahm. Was aber habe ich dir getan?«
»Mohammed Emin, du hast dir die Liebe und Achtung von drei Männern geraubt, die für dich und deinen Sohn ihr Leben wagten und bis heute für euch ohne Zaudern in den Tod gegangen wären.«
»Effendi, verzeihe!«
»Ich zürne dir nicht.«
»Nimm den Hengst zurück!«
»Niemals!«
»Willst du mein Alter züchtigen und meinen grauen Bart beschämen?«
»Grad dein Alter und der Schnee deines Bartes sollten dir gesagt haben, daß der Zorn nie Gutes tut.«
»Soll unter den Kindern der Beni Arab allüberall erzählt werden, daß der Scheik der Haddedihn ein Geschenk zurückerhielt, weil er nicht würdig war, es zu geben?«
»Man wird es erzählen!«
»Emir, du bist grausam, denn du wirfst Schande auf mein Haupt.«
»Du selbst hast es getan. Ich war dein Freund und ich liebte dich; auch heute verzeihe ich dir. Ich weiß, welche Schande es sein wird, wenn du zurückkehrst zu den Deinen und den Hengst wieder bringst; ich möchte dir helfen, aber ich vermag es nicht.«
»Du vermagst es. Du brauchst ja nur den Hengst wieder anzunehmen.«
»Ich würde es tun, dir zur Liebe und Ehre, aber es ist unmöglich geworden. Blicke zurück!«
Er sah sich um, schüttelte aber den Kopf.
»Ich sehe nichts. Was meinst du, Emir?«
»Siehst du nicht, daß der Rappe bereits einen Besitzer hat?«
»Jetzt verstehe ich dich, Effendi. Amad el Ghandur wird absteigen.«
»Aber ich werde das Pferd nicht nehmen. Er hat seinen Sattel aufgelegt und das Tier bestiegen; dies ist ein Zeichen, daß ihr es von mir zurückgenommen habt. Brächtest du es mir so herbei, wie ich es dir zurückgelassen habe, ungesattelt und unberührt, so würde ich denken, daß wir Freunde waren, und ich könnte die Schmach von dir nehmen. Amad el Ghandur hat mir vorgeworfen, daß ich ein Christ bin und als solcher handle; nun wohl, er ist ein Moslem, ohne als solcher zu handeln; denn er besteigt ein Pferd, dessen Rücken einen Christen trug. Erzähle dies den Gläubigen, mit denen du zusammenkommst!«
»Allah il Allah! Was haben wir für Fehler begangen!«
Der alte Scheik dauerte mich, aber ich konnte ihm nicht helfen. Sollte ich eine Schande auf mich laden, um ihm die seine zu ersparen? Nein! Ich konnte gar nicht begreifen, was den beiden so verständigen Männern auf einmal in den Kopf gefahren war. Persönliche Rücksichten waren sicher nicht der Grund. Vielleicht war der Keim zu ihrem Verhalten schon lange Zeit in ihnen versteckt gewesen und von mir gepflegt worden durch die Nachsicht, mit der ich unsere Gegner behandelt wissen wollte. Die Schonung aber, die ich gegen die beiden Bebbeh gezeigt hatte, war dann der Tropfen gewesen, der das Gefäß überlaufen läßt. Aber trotzdem mir der Verlust des Hengstes zu Herzen ging, fiel es mir gar nicht ein, meine milden Anschauungen den rachsüchtigen Gewohnheiten dieser Nomaden zu opfern.
Der Haddedihn ritt lange schweigend neben mir her. Endlich fragte er zagend:
»Warum zürnest du so anhaltend?«
»Ich zürne dir nicht, Mohammed Emin; aber es betrübt mich, daß dein Herz sich nach dem Blute derjenigen sehnt, denen dein Freund verziehen hatte.«
»Wohlan, so werde ich diesen Fehler wieder gutmachen!«
Er wandte sich um. Hinter mir ritt der Engländer mit Halef; dann kam Allo mit dem Gefangenen, zuletzt Amad el Ghandur. Ich wandte mich nicht zurück, weil ich glaubte, Mohammed Emin wolle mit seinem Sohne sprechen; auch Halef und Lindsay drehten sich aus demselben Grunde nicht um. Wir taten es erst, als wir die laute Stimme des Haddedihn vernahmen:
»Reite zurück, und sei frei!«
Der erste Blick überzeugte mich, daß er die Fessel des Gefangenen zerschnitten hatte, der seinem Pferd sofort in die Zügel griff, um im Galopp davon zu sprengen.
»Scheik Mohammed, was hast du getan!« rief Halef.
»Thunder storm, was fällt dem Menschen ein!« schrie der Engländer.
»Habe ich recht gehandelt, Emir?« fragte Mohammed.
»Wie ein Knabe hast du gehandelt!« zürnte ich.
»Ich wollte deinen Willen tun,« entschuldigte er sich.
»Wer hat dir gesagt, daß ich wünsche, ihn so schnell frei zu sehen? Die Geisel ist verloren, nun sind wir wieder in Gefahr!«
»Allah istafer – Gott verzeihe ihm!« rief Halef. »Laßt uns dem Bebbeh nachjagen!«
»Wir werden ihn nicht einholen,« wandte ich ein. »Unsere Pferde sind ihm nicht überlegen; nur der Rapphengst ist schneller.«
»Amad, ihm nach!« gebot Mohammed Emin seinem Sohne. »Bringe ihn zurück oder töte ihn!«
Der Angerufene wandte den Rappen und sprengte davon. Er hatte kaum fünfhundert Schritte zurückgelegt, so weigerte sich sein Pferd, ihn weiter zu tragen, doch war er nicht der Mann, sich so leicht abwerfen zu lassen; er zwang das Tier vorwärts. Natürlich ritten wir ihm nach. Er war hinter einer Krümmung verschwunden. Als auch wir dieselbe hinter uns hatten, sahen wir ihn in ziemlicher Ferne abermals mit dem edlen Tiere kämpfen. Er brachte alle seine Kraft und alle seine Geschicklichkeit zur Geltung, doch vergeblich; denn er flog endlich doch aus dem Sattel. Das Pferd aber wandte sich zurück, kam herbeigerannt und hielt an meiner Seite an, den schönen Kopf unter zärtlichem Schnauben an meinem Schenkel reibend.
»Allah akbar – Gott ist groß!« meinte Halef; »er gibt einem Pferde ein besseres Herz, als viele Menschen es haben. Wie schade, Sihdi, daß deine Ehre nicht erlaubt, es wieder zurückzunehmen!«
Der Haddedihn hatte einen nicht leichten Fall getan, er konnte sich nur schwer erheben; doch als ich ihn untersuchte, zeigte es sich, daß er ohne wirkliche Verletzung davongekommen war.
»Dieser Hengst ist ein Teufel!« meinte er. »Er hat mich doch früher gern getragen!«
»Du vergissest, daß er später mich getragen hat,« erklärte ich, »und ich habe es bisher immer verstanden, ein Pferd so zu gewöhnen, daß es nur denjenigen trägt, dem ich erlaube, es zu reiten.«
»Ich besteige diesen Scheïtan niemals wieder!«
»Du hättest klug getan, ihn bereits vorher nicht zu besteigen. Hätte ich in diesem Sattel gesessen, so würde uns Gasahl Gaboya nicht entkommen.«
»Steige auf, Emir, und reite ihm nach!« bat Mohammed Emin.
»Beleidige mich nicht!«
»So soll der Bebbeh entkommen?«
»Er wird es; doch nur durch deine Schuld!«
»Schauderhaft!« klagte der Engländer. »Dumme Geschichte! Höchst unangenehm! Yes!«
»Was ist zu tun, Sihdi?« fragte Halef.
»Um den Bebbeh wieder zu erlangen? Nichts. Ich hätte ihm den Hund nachgeschickt, wenn dieser mir nicht so wertvoll wäre. Nun aber gilt es, einen Entschluß zu fassen.« Mich an die Haddedihn wendend, erkundigte ich mich: »Habt ihr heute früh, als ich fern war, um den Dachs zu schießen, in Gegenwart des Bebbeh von dem Weg gesprochen, den wir einschlagen wollen?«
Sie zögerten mit der Antwort, Halef aber sagte:
»Ja, Sihdi, sie sprachen davon.«
»Aber nur Arabisch,« entschuldigte sich Mohammed.
Wäre seine Erscheinung nicht so ehrwürdig gewesen, so wäre er einer geharnischten Zurechtweisung wohl nicht entronnen; so aber zwang ich mich zu einem ruhigen Tone:
»Ihr habt nicht klug gehandelt. Was habt ihr gesagt?«
»Daß wir nach Bistan gehen.«
»Weiter nichts? Denke nach! Es kommt hier darauf an, jedes Wort zu wissen, das gesprochen worden ist. Eine Kleinigkeit, die ihr verschweigt, kann großen Schaden bringen.«
»Ich sagte, daß wir von Bistan vielleicht nach Achmed Kulwan, jedenfalls aber nach Kizzeldschi reiten würden, um an den Kiupri-See zu kommen.«
»Du warst ein Tor, Scheik Mohammed! Ich zweifle gar nicht, daß Scheik Gasahl Gaboya uns verfolgen wird. Glaubst du noch immer, unser Anführer sein zu können?«
»Emir, verzeihe mir! Aber ich bin überzeugt, daß der Bebbeh uns nicht ereilen wird. Er hat zu weit zurückzureiten, um die Seinigen zu treffen.«
»Meinst du? Ich bin bei vielen Völkern gewesen, deren Charakter ich kennen gelernt habe, und darum ist es nicht so leicht, mich zu täuschen. Der Bruder des Scheik ist ein ehrlicher Mann, aber er ist nicht der Anführer der Bebbeh. Er hat bei ihnen nur freien Abzug für uns erreichen können, und ich gebe meinen Kopf zum Pfande, daß sie uns gefolgt sind, ohne sich sehen zu lassen. Solange der Scheik sich in unseren Händen befand, waren wir sicher; nun aber müssen wir Besorgnis hegen. Sie werden sich rächen wollen für alles, auch für die Pferde, die wir ihnen töteten.«
»Wir brauchen sie nicht zu fürchten,« tröstete Amad el Ghandur; »denn eben dieser Pferde wegen können uns nicht alle folgen. Und wenn sie kommen, werden wir sie mit unseren guten Gewehren empfangen.«
»Das klingt gut, ist aber nicht so. Sie haben gesehen, daß wir ihnen im offenen Kampfe überlegen sind; sie werden uns abermals einen Hinterhalt legen oder uns gar des Nachts überfallen.«
»Wir stellen Wachen aus!«
»Wir sind nur sechs Mann, und wenigstens so viele Wachen brauchen wir, um uns leidlich sicher fühlen zu können. Wir müssen an etwas anderes denken.«
Unser Führer, der Kohlenbrenner, hielt ein wenig seitwärts von unserer Gruppe. Er befand sich in Verlegenheit, denn er erwartete Vorwürfe darüber, daß er den Haddedihn nicht gehindert hatte, den Gefangenen zu befreien.
»Wie weit nach Süden reiten die Bebbeh?« fragte ich ihn.
»Bis zum See hinab,« antwortete er.
»Kennen sie die Gegend genau?«
»Ganz genau. Sie kennen,« sagte er, »so gut wie ich jeden Berg und jedes Tal zwischen Derghezin und Miek, zwischen Nweizgieh und Dschenawera.«
»Wir müssen,« fuhr ich fort, »einen andern Weg einschlagen, als wir vorher wollten. Nach West dürfen wir nicht. Wie weit ist es von hier nach Ost bis an die Hauptkette des Zagrosgebirges?«
»Acht Stunden, wenn wir durch die Luft reiten könnten.«
»Da wir aber auf der Erde reiten müssen?«
»Das ist verschieden. Ich kenne weiter unten einen Paß. Wenn wir gegen Sonnenaufgang reiten, so übernachten wir in einem sichern Walde und erreichen morgen, wenn die Sonne am höchsten steht, das Zagrosgebirge.«
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