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»Nehmt eure Pferde, und folgt mir!«
Sie gehorchten sofort, und ich führte sie nach unserm Lagerplatz. Als wir denselben erreichten, hatte der Haddedihn indes ein kleines Feuer angebrannt, um die Umgebung zu erleuchten. Die Wache saß bereits waffenlos bei den andern Bejat. Die neun Männer, welche ich jetzt brachte, waren von dem ihnen widerfahrenen Unfalle so niedergeschmettert, daß sie mir ohne Widerrede ihre Messer und Lanzen übergaben. Ich erklärte den fünfzehn Männern, daß sie nur dann von uns etwas zu fürchten hätten, wenn es ihrem Khan einfallen sollte, einen Verrat an uns zu begehen; den entflohenen Bebbeh aber könne ich ihnen unmöglich wieder bringen.
Master Lindsay hatte sich während meiner Abwesenheit, so gut es bei seinem Mangel an Sprachkenntnis möglich war, von Halef das ihm noch Unverständliche erklären lassen. Jetzt trat er zu mir.
»Sir, was tun wir mit den Kerls?«
»Das soll sich erst finden, wenn der Khan zurückkehrt.«
»Wenn sie aber ausreißen?«
»Das gelingt ihnen nicht. Wir überwachen sie ja, und übrigens werde ich unsern Hadschi Halef Omar an den Ausgang stellen.«
»Dorthin?« – Er deutete nach dem Gange, der in das Freie führte. Als ich nickte, fügte er bei: »Ist nicht genug! – Gibt noch einen zweiten Ausgang. Da hinten! Yes!«
Ich sah nach der Richtung, welche mir seine Hand andeutete, und gewahrte beim Scheine der Flamme ein hohes Felsenstück, vor welchem ein Busch stand.
»Ihr scherzt, Sir!« sagte ich. »Wer kann über diesen Stein kommen! Er ist wenigstens fünf Meter hoch.«
Er lachte mit dem ganzen Gesichte, so daß sein Mund das berühmte Trapezoid bildete, innerhalb dessen Linien die großen gelben Zähne sichtbar wurden.
»Hm! Seid ein gescheiter Kerl, Master! Aber David Lindsay ist doch noch klüger. Well!«
»Erklärt Euch, Sir!«
»Geht einmal hin, und seht Euch den Stein und den Busch an!«
»Also wirklich? Aber hingehen kann ich nicht, denn ich würde die Bejat auf diesen Ausgang aufmerksam machen, wenn er wirklich vorhanden ist.«
»Er ist da, wirklich da, Master! Yes!«
»Inwiefern?«
»Das ist nicht ein Stein, sondern es sind zwei Steine, und zwischen der schmalen Lücke steht der Busch. Verstanden?«
»Ah, das kann für uns von großem Vorteile sein. Wissen die Bejat etwas davon?«
»Glaube nicht; denn als ich dort war, haben sie nicht auf mich geachtet.«
»Ist die Lücke sehr schmal?«
»Man kann mit einem Pferde hindurch.«
»Und wie ist das Terrain dann hinter ihr?«
»Weiß nicht. Konnte es nicht sehen.«
Das war so wichtig, daß ich es gleich untersuchen mußte. Ich machte die Gefährten auf mein Vorhaben aufmerksam und verließ den Lagerplatz. Draußen umging ich das Felsengewirr und fand wegen der Dunkelheit nur mit vieler Mühe endlich den Ort, wo der Busch zwischen den beiden Felsen stand. Die Oeffnung, welche er maskierte, war etwas über zwei Meter breit. Hinter ihr gab es zwar auch noch eine Menge bunt durcheinander geworfenen Gesteins, aber es war wenigstens beim Lichte des Tages nicht schwer, ein Pferd hindurch zu lenken.
Da ich nicht wußte, was uns begegnen konnte, so zog ich mein Messer, trat an den Busch heran und machte so tiefe Einschnitte in einige der Stämmchen, daß sie nach außen fallen mußten, falls man mit dem Pferde darüber hinwegstrich. Natürlich geschah dies so vorsichtig, daß die dahinter lagernden Bejat nichts davon merkten. Dann kehrte ich zu dem Lagerplatz zurück und stellte Halef am Eingange desselben auf. Er erhielt die Weisung, uns jede Annäherung sofort zu melden.
»Was hast du gefunden, Effendi?« fragte Mohammed Emin.
»Einen prachtvollen Ausweg für den Fall, daß wir uns ohne »Sallam« entfernen müßten.«
»Durch den Busch hinaus?«
»Ja. Ich habe ihn durchschnitten. Sobald ein Reiter hindurchbricht, wird der Strauch umgerissen und die Folgenden haben dann freie Bahn.«
»Gibt es dann noch Gestein?«
»Ja, große Steinbrocken mit Dorn und Pflanzenwerk dazwischen; aber wenn es hell ist, kommt man recht gut hindurch.«
»Meinst du denn, daß wir diesen Weg gebrauchen werden?«
»Ich weiß es nicht, aber ich ahne es. Lache nicht über mich, Mohammed Emin; aber bereits seit meiner Kindheit habe ich ein gewisses Ahnungsvermögen besessen, welches mich oft auf noch entfernte Dinge aufmerksam machte.«
»Ich glaube dir. Allah ist groß!«
»Freudige Dinge ahne ich nie vorher. Aber zuweilen erfaßt mich eine Unruhe, eine Angst, als hätte ich etwas Böses begangen, dessen Folgen ich nun fürchten müsse. Dann ist sicher und regelmäßig etwas geschehen, was mir Schaden bringt. Und wenn ich später die Zeit vergleiche, so stimmt es ganz genau: die Gefahr hat in demselben Augenblick begonnen, an welchem mich die Angst überfiel.«
»So wollen wir auf die Warnung achten, welche dir Allah sendet.«
Meine Besorgnis äußerte ihre Wirkung auch auf die Gefährten. Das Gespräch stockte, und wir lagen wortlos beieinander, bis der Tag anbrach. Kaum aber war es möglich, den Blick in die Ferne zu richten, so kam Halef hereingeeilt und meldete, daß er viele Reiter gesehen habe. Ihre genaue Zahl hatte er nicht unterscheiden können.
Ich trat zum Pferde, nahm das Fernrohr aus der Satteltasche und folgte Halef. Man erkannte mit dem bloßen Auge draußen auf der Ebene eine Menge dunkler Gestalten; durch das Rohr konnte ich sie deutlicher unterscheiden.
»Sihdi, wer ist es?« fragte Halef.
»Die Bejat sind es.«
»Aber ihrer sind nicht so viele!«
»Sie kehren mit dem Raube zurück. Sie führen die Herden der Bebbeh bei sich. Wie es scheint, reitet der Khan mit einer Schar schnell voran. Er wird also eher da sein, als die Andern.«
»Was tun wir?«
»Hm! Warte! Ich werde dir Nachricht geben.«
Ich kehrte zu den Gefährten zurück und unterrichtete sie von dem, was ich gesehen hatte. Sie waren gleich mir überzeugt, wir hätten von dem Khan nichts zu befürchten. Wir konnten ihm keinen andern Vorwurf machen, als daß er uns von seinem Vorhaben keine Mitteilung gemacht hatte. Wäre dies geschehen, so hätten wir uns ihm nicht angeschlossen; denn es lag ja sicher eine Gefahr für uns darin, in der Gesellschaft eines Herdenräubers gesehen zu werden. Wir kamen überein, ihn zwar vorsichtig, aber doch höflich zu empfangen.
Nun kehrte ich, vollständig bewaffnet, zu Halef zurück.
Der Khan kam mit seinem Trupp im Galopp herbei, und ehe fünf Minuten vergangen waren, hielt er sein Pferd vor mir an.
»Sallam, Emir!« grüßte er. »Du hast dich wohl gewundert, mich nicht bei euch zu sehen, als du erwachtest. Aber ich hatte ein dringliches Geschäft zu besorgen. Es ist gelungen. Blicke hinter dich!«
Ich sah nur ihm ins Gesicht.
»Du hast gestohlen, Khan Heider Mirlam!«
»Gestohlen?« fragte er mit ganz erstaunter Miene. »Wer seinen Feinden nimmt, was er ihnen nehmen kann, ist der ein Dieb?«
»Die Christen sagen: ja, er ist ein Dieb, und du weißt, daß ich ein Christ bin. Warum aber hast du gegen uns geschwiegen?«
»Weil wir dann Feinde geworden wären. Du hättest uns verlassen?«
»Allerdings.«
»Und die Bebbeh gewarnt?«
»Ich hätte sie nicht aufgesucht, und ich wußte ja auch nicht, welches Lager oder welchen Ort du überfallen wolltest. Aber wäre mir ein Bebbeh begegnet, so hätte ich ihn von der Gefahr benachrichtigt, die ihm drohte.«
»Siehest du, Emir, daß ich recht habe! Ich konnte nur zweierlei tun: – entweder mußte ich dir mein Vorhaben verschweigen, oder ich mußte dich gefangen nehmen und mit Gewalt bei mir behalten, bis alles vorüber war. Da ich dein Freund war, so habe ich das erstere getan.«
»Ich aber bin in der Nacht in das Lager zu den zehn Männern gegangen, die du dort zurückgelassen hattest,« lautete meine ruhige Antwort.
»Was wolltest du bei ihnen?« fragte der Khan.
»Sie gefangen nehmen.«
»Allah! Warum?«
»Weil ich erfuhr, daß du uns verlassen hattest. Ich wußte nicht, was mir geschehen könnte; darum nahm ich alle da gebliebenen Bejat gefangen, um sie als Bürgschaft meiner Sicherheit zu gebrauchen.«
»Herr, du bist ein sehr vorsichtiger Mann; aber du konntest mir trauen. Was hast du mit dem Bebbeh getan?«
»Nichts. Ich bekam ihn gar nicht zu sehen, denn er war entflohen.«
Der Khan entfärbte sich und rief:
»Derigh![15] Das ist ja ganz unmöglich! Das kann mir alles verderben. Laß mich hinein zu diesen Hunden, welche sicher geschlafen haben, als sie wachen sollten!«
Jetzt erst sprang er vom Pferde, ließ es stehen und stürmte zwischen den Felsen hindurch dem Lagerplatze zu. Wir folgten ihm beide, Halef und ich. Zwischen dem Khane und seinen Leuten gab es nun eine Szene, die kaum zu beschreiben ist. Er tobte wie ein angeschossener Eber, teilte Fußtritte und Faustschläge aus und war nicht eher zu beruhigen, als bis er seine Kräfte erschöpft hatte. Ich hätte diesem Manne eine solche Wut gar nicht zugetraut.
»Laß deinen Zorn schwinden, Khan,« bat ich schließlich. »Du hättest diesen Mann doch frei lassen müssen.«
»Ich hätte es getan,« zürnte er; »aber heut noch nicht, denn mein Plan soll nicht verraten werden.«
»Welches ist dein Plan?«
»Wir haben alles mitgenommen, was wir bei den Bebbeh gefunden haben. Jetzt nun wird das Gute von dem Schlechten getrennt. Alles Wertvolle schicke ich auf weiten, aber sicheren Umwegen zu den Unserigen; alles Schlechte aber nehmen wir Andern, die wir zu den Dschiaf gehen, mit uns. Unterwegs lassen wir es stellenweise zurück. Auf diese Art lenken wir die Verfolgung auf uns; die Bebbeh glauben, sie seien von einer Abteilung der Dschiaf überfallen worden, und meine Leute kommen mit der Beute sicher zu den Lagerplätzen und Dörfern der Bejat.«
»Dieser Plan ist gut ausgedacht.«
»Aber nun wohl ohne Erfolg. Der gefangene Bebbeh gehörte zu der Abteilung, die wir überfallen haben; er wußte, daß wir Bejat sind, und wird alles verraten. Er hat sicher geahnt, was wir beabsichtigten. Er hat ein sehr gutes Pferd. Wie nun, wenn er, noch während wir mit dem Ueberfalle beschäftigt waren, die Schnelligkeit seines Tieres benutzt hat, um die befreundeten Lager in der Nähe in Alarm zu bringen?«
»Das wäre schlimm für euch und auch für uns, denn er hat uns bei euch gesehen,« antwortete ich.
»Er kennt auch unsern Lagerplatz, und es steht zu erwarten, daß der Eingang zu diesen Felsen den Bebbeh bekannt ist.«
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, so erscholl vom Eingang her ein lauter Ruf:
»Allah ‚l Allah! Da sind sie! Nehmt sie lebendig gefangen!«
Wir drehten uns um und erkannten den entflohenen Bebbeh, welcher mit funkelnden Augen auf mich zusprang; hinter ihm quoll ein zahlreiches Gefolge durch die Enge auf den Platz, und zugleich erhob sich ein fürchterliches Geheul, mit zahlreichen Flintenschüssen untermischt. Wir hatten den Vorgang außerhalb des Lagers gar nicht beachtet und sogar vergessen, den Eingang bewachen zu lassen.
Ich hatte übrigens nicht die mindeste Zeit zum Nachdenken, denn der Bebbeh, in welchem ich jetzt einen Khan oder Scheik vermutete, kam auf mich zu. Er trug weder Lanze noch Büchse bei sich, ganz so wie seine Gefährten; aber in seiner Hand funkelte der gewundene afghanische Dolch.
Ich empfing den kühnen Gegner mit freien Händen, ohne nach einer Waffe zu greifen. Mit der Linken umfaßte ich mit raschem Griff seine Rechte, welche den Dolch hielt, und meine Rechte legte ich ihm um den Hals.
»Stirb, Räuber!« rief er, unter einem gewaltigen Ruck, seine bewaffnete Faust freizumachen.
»Du irrst,« antwortete ich. »Ich bin kein Bejat; ich wußte nicht, daß ihr überfallen werden solltet!«
»Du bist ein Dieb, ein Hund! Du hast mich gefangen genommen; jetzt aber sollst du mein Gefangener werden. Ich bin Scheik Gasahl Gaboya, dem noch keiner entgangen ist!«
Wie ein Blitz zuckte mir die Erinnerung durch das Hirn, daß ich diesen Namen schon als denjenigen eines der tapfersten Kurden gehört hatte. Da galt es kein Bedenken mehr.
»So nimm du mich gefangen, wenn du kannst!« antwortete ich.
Bei diesen Worten ließ ich beide Hände von ihm ab und trat zurück. Er mochte dies als eine Schwäche von mir erkennen, stieß einen triumphierenden Schrei aus und erhob den Arm hoch zum Stoße. Das wollte ich haben: ich rannte ihm meine Faust mit solcher Gewalt in die entblößte Achselhöhle, daß seine Füße augenblicklich den Halt verloren. Sein Körper beschrieb einen weiten Bogen und stürzte sechs Schritte von mir entfernt zu Boden, und ehe er sich wieder aufraffen konnte, schlug ich ihm die geballte Faust auf die Schläfe, so daß er liegen blieb.
»Auf die Pferde, und mir nach!« rief ich.
Ein Blick zeigte mir die ganze Szene. Es waren ungefähr zwanzig Bebbeh eingedrungen. Die Bejat standen mit ihnen im Kampfe. Master Lindsay hatte zwei gegen sich und entledigte sich soeben des einen mit einem Schlage seines Büchsenkolbens; die beiden Haddedihn hatten sich nebeneinander an den Felsen gelehnt und ließen keinen an sich kommen, und der kleine Halef kniete auf einem niedergeworfenen Feinde, dessen Kopf er mit dem Kolben seiner Pistole bearbeitete.
»Sihdi, nicht fliehen! Wir werden mit ihnen fertig!« beantwortete der mutige Hadschi meinen Ruf.
»Draußen sind mehrere; die Bejat sind überfallen. Vorwärts! Schnell!«
Ich entriß dem an der Erde liegenden Gasahl Gaboya seinen Dolch, um ein Andenken an diesen unglücklich beginnenden Tag mitzunehmen, und sprang auf mein Pferd. Um den gehörigen Anlauf zu bekommen und zugleich auch den Freunden Luft zu verschaffen, zog ich den Rappen empor, gab ihm die Sporen und trieb ihn mitten in die Bebbeh hinein. Hier ließ ich ihn nach allen Seiten ausschlagen, bis ich die vier Gefährten beritten sah, und trieb ihn dann mit einem weiten Satze in den Busch hinein, den er mit seinen Hufen niederriß. Draußen mußte ich sofort halten, da man nur im Schritte vorwärts kommen konnte; doch erhielten die vier Kameraden immerhin Raum genug, um mir augenblicklich folgen zu können.
Sobald ich die Felsen hinter mir hatte und mich mit einem Blick überzeugte, daß alle vier entkommen waren, gab ich dem Hengste die Schenkel und galoppierte in die offene Ebene hinaus. Die Andern folgten.
Eine kurze Umschau erklärte mir den ganzen Sachverhalt. Dieser Scheik Gasahl Gaboya war wirklich ein kluger Mann; denn anstatt seine Abteilung zu warnen, die doch zum Widerstande zu schwach gewesen wäre, war er bemüht gewesen, die ganze Umgegend in Aufruhr zu versetzen, und während die mit Beute beladenen Bejat ahnungslos ihrem Lager zuzogen, war dasselbe bereits von drei Seiten, wenn auch in sehr weiter Entfernung, so eingeschlossen, daß die Räuber froh sein mußten, mit dem nackten Leben zu entkommen. Hinter uns tobte der Kampf. Wie es den Bebbeh dort gelungen war, unbemerkt und plötzlich an die Bejat zu kommen, das zu untersuchen, hatte ich keine Zeit. Links von uns sah ich eine breite Linie von Reitern im Galopp sich dem Kampfplatze nahen. Und rechts von uns war die ganze Gegend bis hinaus zum äußersten Horizont mit beweglichen Punkten bestreut; auch das waren Reiter.
»Vorwärts, Effendi!« rief Mohammed Emin. »Sonst schließen sie uns ein! Bist du mit heiler Haut davongekommen?«
»Ja. Und du?«
»Eine kleine Schramme.«
Wirklich blutete er an der Wange, aber der Riß konnte nicht gefährlich sein.
»Kommt heran!« bat ich. »Wir bilden eine gerade Linie. Wer uns von der Seite sieht, wird uns von weitem für einen einzigen Reiter halten.«
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